Katanagatari (German)/Buch 1/Zettou Kanna

From Baka-Tsuki
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Illustrationen[edit]

Zettou Kanna[edit]

Prolog[edit]

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Zu jener Zeit rühmte sich die Hauptstadt mit sechshundertfünfundvierzig offiziellen Schulen der Schwertkunst, große wie kleine – zählt man aber alle inoffiziellen mit, dann waren es sicherlich an die tausend. Berühmt unter ihnen war das Hishou[1] Dojo, an der Ostseite der Stadt[2], eine Elite-Institution mit guten Beziehungen zum Shogunat[3] und einer Geschichte, die bis zum Sengoku-Jidai[4] zurückreichte, ein bekannter Name für jede in den Kampfkünsten bewanderte Person.

Innerhalb dieser Mauern, standen sich sieben Männer gegenüber.

Aber nein – zu sagen sie standen sich gegenüber würde verwirren. In Wirklichkeit, umzingelten sechs Männer einen Mann, in einem Kreis. Nichts, was man eine sportliche Atmosphäre nennen kann.

Irgendetwas war schief.

In den schwarzen Gi[5] des Hishou Dojo gekleidet standen die Männer dort, ihre Bokutos[6] gezückt. Auf unglaubliche Weise, stand der in ihrem Schwertgitter gefangene Mann mit leeren Händen da.

Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um in Gedanken versunken zu sein, jedoch war der von den anderen sechs eingekesselten Mann nicht auf sie fokussiert, sondern auf den Boden, als wäre er verdutzt von den Brettern unter seinen Füßen.

Der einzige ohne Gi, er war bis zur Hüfte blank und im Grunde in Lumpen. Er war fit, von langer Statur und nicht gerade das, was man als mager bezeichnet. Man könnte sagen, er hatte gerade Genug Muskeln an den richtigen Stellen. Sein zerzaustes Haar war am Rücken zusammengebunden. Jede Bewegung strahlte Wildheit aus.

Er schüttelte seinen Kopf.

Augen auf seine Füße gerichtet.

„Was ist denn nun schon wieder?“

Sie sprach aus einer entfernten Ecke des Dojo.

Eine Frau in einem auffälligen, brillanten Kimono lehnte bequem an der Wand. Der perfekte Aussichtspunkt, um die sieben Männer zu beobachten – das heißt, die den einzelnen umzingelnden sechs. Sie tat nichts, um ihr Lächeln zu verbergen. Trotz ihrer jungen Jahre, war ihr Haar völlig weiß. Keine einzige schwarze Strähne.

„Wenn du etwas hast, sag es einfach.“

Der Mann schien gestört von ihrer Frage.

„So ist das nicht – Ich bin nur ein bisschen Fehl am Platz. Ich bin ein Inselaffe. Ich glaube ich bin noch nie auf so glänzendem Holz gelaufen.“
„Ich vermute nicht.“

Die Frau grinste.

Sie amüsierte sich.

„Nimm den Namen des Dojos nicht so ernst. Der Boden ist nicht wirklich aus Eis. Konzentrier dich auf diese Typen – keiner von ihnen sollte für überflüssig gehalten werden. Männer ihrer Fähigkeit gehen in die Geschichte ein-“
„Geschichte? Wer braucht sowas. Hilft mir nicht, hilft dir nicht,“, sagte der alleinige Mann. „Alles wichtige ist, sie sind Schwertkämpfer. Und gegen ein Schwert, verliere ich nie.“
„Das ist mal Zuversicht. Und ohne Frage gerechtfertigt. Aber denk daran, du stehst nicht einem Mann gegenüber. Da sind sechs.“
„Sechs Schwerter.“
„Sechs sind sechs. Selbst wenn du gleichzeitig schlägst, trittst und kopfstößt, das sind nur fünf – du und dein Kenpou[7] habt euch übernommen. Irgendetwas muss mit dir nicht stimmen, dich einem Schwert mit bloßen Händen zu stellen. Aber andererseits, wenn du nicht so wärst, würdest du mir nichts nützen.“
„Ich will es dir zeigen. Ich will, dass du mich brauchst. Du musst. Das ist das einzig Wichtige.“

Die sechs Männer verkleinerten ihren Kreis.

Nicht zufrieden.

Und warum sollten sie es sein? Diese beiden plapperten, als ob keiner von ihnen hier wäre – es hätte gereicht jeden zu nerven, gar nicht zu sprechen von der Elite eines ehrwürdigen Dojos.

Ihre Unruhe ließ den umzingelten Mann seinen Kopf heben.

Seine Worte aber-

„In Ordnung. Auf geht’s.“

-waren endlos distanziert.

Dasselbe galt für seinen Gesichtsausdruck.

„Kein Sinn zu Denken. Kein Platz zum Ausrutschen – Auf geht’s. Auf dein Zeichen.“
„Also Gut,“, nickte die Frau. „Lass uns-“

Beginnen.

Bevor sie das Zeichen geben konnte fingen die sechs Männer – sechs hölzerne Schwerter – an sich zu bewegen. Schwertkämpfer eines solch legendären Rufes konnten auf dasselbe Ziel zielen, ohne sich dabei zu behindern. Ohne etwas von ihm zu verschonen, würden die Schwerter mit einem Mal über seinen Körper herfallen-

Oder, würden sie das?

„Uff – wie lästig…“

Selbst jetzt, zeigte er keinen Anschein von Aufregung.

„Ich hab‘ dir doch gesagt – das hier ist kein Kenpou. Das ist Schwertkunst[8]. Und selbst zu sechst haben sie ein Schwert zu wenig – gegen mich. Guck dir das gut an.“

Der Schwertkämpfer ohne Schwert ging in die Hocke – runter bis zum Boden.

„Kyotouryu[9] – Shichika Hachiretsu–[10]
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An diesem Punkt lässt es sich genauso gut anfangen wie überall.

Mit dem Ausrollen der Schriftrolle, über diesen Krieg der Katanas.
Dieses verwegene Spiel mit Schwertern, diese häppchenweise, altertümliche Erzählung.
Und so beginnen wir: Katanagatari – Die Geschichte der Schwerter.

Fushoujima[edit]

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In Tango, jenseits des Meeres, das sich vor den Klippen von Shinso erstreckt, liegt eine Insel am Horizont. Winzig, nur etwa 15 Kilometer im Umfang. Wenige der Bewohner von Shinso wussten, dass es sie gab – und jenen die es taten, war sie egal. Warum sollte die Insel sie kümmern? Sie war auf keiner der Karten, und hatte keinen Namen. Niemand hatte das Bedürfnis eine weitere leere Insel inmitten von weiteren leeren Inseln zu benennen.

Leer…War sie das?

Sie war es, bis vor gut 20 Jahren.

Zwanzig Jahre zurück, als eine Familie von Shinso aus übersetzte – gaben sie diesem Ort den Namen Fushoujima[11]. Sie waren die einzigen drei Seelen auf der Welt die einen Grund hatten sie zu benennen.

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„Wie lästig…“[12]

Es war Morgengrauen.

Vor einer heruntergekommenen, nahe des Zentrums der Insel gebauten Hütte, saß grummelnd ein Mann, in Lumpen gekleidet, zerzaustes Haar auf dem Rücken. Noch nicht ganz wach, murmelte er vor sich hin und hantierte mit einem Gegenstand.

Einem Eimer.

Groß und Rund.

Vielleicht eher ein Fass – und ähnlich schludrig zusammengezimmert wie die Hütte. Auf den ersten Blick könnte man es mit einem zusammengebundenen Haufen Stöcke verwechseln, doch die Nähte hatten nicht die kleinste Lücke, aus der Wasser herausdringen könnte. Er warf eine Schöpfkelle in den Eimer und befestigte ihn mithilfe der Seile, die ihn zusammenhielten, auf dem Rücken.

Wie lästig, dachte er, diesmal ohne die Worte auszusprechen.

Er war nicht wütend – hatte nichts gegen den Eimer oder die Kelle. Für ihn war so gut wie alles, standardmäßig, lästig. Aufstehen? Absolut. Aber sogar abends die Augen zum Schlafen gehen zu schließen. Lästig.

„Legen wir mal los.“

Auch wenn er nicht stehenblieb, wirkte er wenig erfreut darüber, stehen zu müssen. Mit schläfrigen Augen drehte er sich um, in Richtung des Berges-

Im Selben Moment öffnete sich die knarzende Tür der Hütte.

„Shichika…“

Sagte jemand von innerhalb.

Shichika Yasuri…[13]

Sein Name.

„Wohin gehst du Shichika?“
„Äh…“

Er drehte sich nervös und verlegen um, versuchte wegzugucken, aber schaffte es nicht. Mit drehenden Augen, dem Gesicht eines Kindes, dass auf frischer Tat ertappt wurde. Aber Shichika war zu alt, wenn auch nicht viel, um für ein Kind gehalten zu werden, außerdem war kein Kind so gut gebaut. Genau genommen tat er nichts Falsches, aber als die Stimme aus der Hütte - seine ältere Schwester Nanami – in seine Ohren drang, war er so gut wie schuldig.

Nanami Yasuri.[14]

Anders als ihr wilder jüngerer Bruder, war Nanami das Abbild von Anmut und Anstand. Ihr Gesicht und ihre Präsenz hatten eine Anziehungskraft wie Porzellan – jedoch lag in ihrer Schönheit und Sänfte auch etwas Fragiles, Zerbrechliches. In der Tür lehnend, nur mit einem Haori[15] über ihrem Nachgewand, beobachtete sie Shichika mit einem kalten Blick.

Ohne Emotion in der Stimme.

„Ich habe gefragt, wohin du gehst.“
„Es sah so aus, als, äh, hätten wir kein Wasser mehr, also dachte ich, ich geh und hol neues. Geh zurück in Bett. Du solltest nicht hier draußen sein, so angezogen. Du erkältest dich noch.“
„Sagt derjenige, der nicht mal ein Hemd trägt. Mir geht es gut. Es reicht, um mich abzukühlen. Die kalte Luft fühlt sich gut auf meiner Haut an. Außerdem, ich sollte heute die Hausarbeit erledigen.“
„Ja, ich weiß. Ich meine-“, stotterte Shichika, „Das wusste ich nicht“. Er zitterte in seinen Sandalen. „Macht das wirklich einen Unterschied? Sie es als Teil meines Trainings an.“
„Shichika.“

Ihre Stimme war kalt.

Bereit jede Entschuldigung abzulehnen.

Es ließ ihn schnell verstummen.

„Wie oft soll ich es dir noch sagen? Hör auf mich so edel zu behandeln.“
„Ich – wollte nicht.“
„Ich bin auch in der Lage Wasser zu holen. Du wurdest nicht dazu erzogen so aufdringlich zu sein. Und all das Training?“, seufzte Nanami abweisend. „Zwecklos.“
„Was macht es Zwecklos-“
„Alles. Warum trainieren, wenn du das Ende der Tradition bist?“
„…“

Nanami seufzte wieder.

Sie war gut im Seufzen.

„Niemand will, dass du den Helden spielst.“
„Klar, naja, danke für den Rat. Ich gebe mein Bestes. Gestern hab‘ ich mir eine neue Fatale Orchidee ausgedacht. Diese ist echt der Hammer.“
„Shichika.“

Nanami würde ihn nicht das Thema ändern lassen.

„…Was?“, fragte er.
„Es ist schon ein Jahr her, dass Vater gestorben ist. Denkst du nicht es ist Zeit?“
„Zeit wofür?“
„Wenn du einen Eimer bauen kannst,“, sagte sie flach, in Richtung der Konstruktion auf seinem Rücken zeigend, „Bin ich sicher, dass du ein Boot bauen kannst. Vater war derjenige, der verbannt wurde. Ich würde es nie nach Drüben schaffen, aber du…“
„Mach dich nicht lächerlich.“. Das war zu viel für ihn. Shichika reichte es langsam. „Ich verstehe, was du meinst. Genau wie du bin ich schon auf dieser Insel, solange ich denken kann – aber ich kann nicht einfach so mir nichts dir nichts aufs Festland gehen. Ich wäre verloren, könnte links und rechts nicht unterscheiden. Ich würde irgendwo tot im Graben landen.“
„Trotzdem,“, sagte Nanami.
„Trainieren ist vielleicht sinnlos. Das stimmt. Aber die Schule ist das Einzige, was Vater mir hinterlassen hat – Ich werde die Tradition solange aufrechterhalten, wie ich es kann.
„Hm.“, Nanami lächelte. „Ich hatte keine Ahnung, dass du Vater so sehr vermisst.“
„Schwesterchen.“[16]
„Was? Mach schon. Wenn du Wasser holen willst, dann geh und hol es. Wir können später darüber reden. Für so etwas ist es zu früh. Ich mache Frühstück. Ist das Wasser ganz leer?“
„Ein bisschen haben wir noch.“
„Alles klar,“ , sagte sie. „Du kannst mir deine neue Technik später zeigen.“

Nanami trat zurück in die Hütte und schloss die Tür.

Sie gehen zu sehen war so eine Erleichterung für Shichika, dass er aufatmete. Und für einen Mann seiner Größe war das nicht gerade ein gutes Zeichen. Seine Schwester beschämte ihn.

„Ich wusste irgendwann würde sie es ansprechen, und heute ist es wohl so weit. Aber sie weiß nicht, wovon sie da spricht. Ein Eimer ist etwas ganz anderes als ein Boot.“

Ihr Vater hätte vielleicht ein Boot bauen können. Vor zwanzig Jahren hatte er die Hütte gebaut – mit seinen eigenen Händen.

Aber Shichika? Keine Chance.

Nicht ohne eine einzige Klinge auf der gesamten Insel.

Das war keine Übertreibung.

Shichika und Nanami waren gebunden.

An diese Insel.

An ihren Vater.

Und seine Schule.

„…“

Vermisste er ihn?

Tat er das wirklich?

Als er sagte, dass das Wasserholen Teil seiner Ausbildung sei, war das ernst gemeint (das musste es), aber es überraschte ihn, dass seine Schwester die Gefühle für seinen Vater erwähnte.

Er war ein toller Mann. Man nannte ihn den Helden der Rebellion.

Im Vergleich zu ihm hatte Shichika nichts erreicht.

Fairerweise muss man sagen, dass Shichika die meiste Zeit seines Leben auf Fushoujima verbracht hatte und bisher keine Chance hatte tollkühne Heldentaten zu vollbringen – dennoch gab ihm dies ein anhaltendes Gefühl der Minderwertigkeit.

Die Tradition weiterführen-

Sein Vater hatte ihn bis zu seinem Tod trainiert.

Es war die Schule seines Vaters. Das gab dem Training einen Sinn.

Aber Nanami hatte recht. Wenn Shichika weiter auf dieser Insel vor sich hin rottete, würde die Schule mit ihm aussterben. Nanami war vielleicht diejenige, die es angesprochen hatte, aber er dachte auch daran. Verdammt, selbst ihr Vater musste es gewusst haben – der Tag würde kommen.

Wie auch immer.

Jedenfalls.

Shichika wusste nicht von der Außenwelt-

Und wollte es auch nicht lernen.

Warum die Mühe – so lästig.

„…Los geht’s.“

Er rückte den Eimer auf seinem Rücken zurecht und ging in Richtung des Berges.

Über die einsame Insel.

So einsam wie sie war, hatte sie doch frisches Wasser – ansonsten wäre seine Familie schon vor Jahren an Durst gestorben. Aber das Wasser war nicht in aus einem Fluss, oder einem Brunnen. Es entsprang aus einer Quelle auf dem Berg. Da die Insel eine einzige Bergmasse war, konnte man schwer sagen, was Berg war und was nicht (und eigentlich war so gut wie alles, außer der Strände und der Lichtung, wo sie ihre Hütte hatten, Berg), aber die fragliche Quelle saß jenseits eines besonders tückischen Passes – kein Ort, an den er seine Schwester für Wasser hinschicken Würde. In dem Jahr seit dem Tod seines Vaters hatte Shichika das Wasser immer im Stillen wiederaufgefüllt, aber es sah so aus, als hätte sie es letztendlich doch bemerkt. Bald würde sie auch all die anderen niederen Aufgaben herausfinden, die er im Geheimen ausgeführt hatte – aber was konnte er machen. Es war ein Wunder, dass ein Stumpfsinniger wie er, einen so scharfsinnigen, wie seine Schwester, so lange hatte täuschen können.

-Ihr Gesicht.

Sie sah ein wenig blass aus.

Und das nicht wegen der frühen Stunde.

Nur ihr Bruder hätte es bemerken können, da ihr Teint sogar an normalen Tagen nicht nur klar und weiß, sondern schon fast himmelblau war.

-Trotzdem.

Was, wenn sie wieder krank ist?

Als sie sagte, die kalte Luft fühle sich gut an, könnte das bedeuten, dass sie Fieber bekommt? Nanami war gebrechlich. So viel war sicher - in der Nacht begegnet, könnte man sie leicht mit einer Erscheinung[17] verwechseln, wenn nicht sogar mit einem echten Geist[18]. Es ging ihr so gut – nicht, dass es ihm zu verdanken war, durch das Erledigen der Arbeiten – doch jetzt, da sie seine Machenschaften entdeckt hatte, bezweifelte er, dass sie zuhören würde, wenn er ihr sagte, sie solle zu Hause bleiben und sich ausruhen. Eher würde sie sich überanstrengen, im Versuch zu kompensieren. Im Gegenteil zu ihrem trägen Bruder hasste sie nichts weiter als still zu sitzen. Auf den ersten Blick mag man denken, dass ihre Lethargie Ähnlichkeiten mit ihrem Bruders aufwies, aber an der Wurzel waren diese Stimmungen nicht miteinander verbunden. Ihre war ganz einfach eine Folge der Kränklichkeit.

Sie würde lieber arbeiten. Immer.

Krank wie sie war.

Oder vielleicht war die Krankheit gerade der Grund - Menschen wollen, was sie nicht haben können, und sehnen sich danach, das zu tun, was sie nicht können. Dies war sicherlich bei Nanami der Fall.

Shichika war anders. Er hasste, was er hatte, und war abgeneigt, die Dinge zu tun, die er konnte.

Mein Vater-

-der Held.

Genug nachgedacht. Er schloss die Augen.

Sein Kopf tat weh.

Shichika war kein Denker. Logik war nicht seine Stärke. Wenn es etwas gab, das er hasste oder verabscheute, waren es komplizierte Erklärungen.

Das war das Territorium seiner Schwester.

-Sie waren wie Bogen und Schnur.

Oder besser gesagt, ein reparierter Deckel auf einem zerbrochenen Topf.[19]

Für Shichika waren die Dinge so, wie sie waren, und was auch immer passierte, passierte - Punkt. Seiner Ansicht nach war es am besten, erst zu wagen, dann zu wägen.

„Hm?“

Er bemerkte etwas.

Shichika kannte diese Insel besser als jeder andere, jetzt wo sein Vater weg war - und vielleicht sogar zu Lebzeiten seines Vaters. Die Insel war so klein. Er kannte alles bis zum letzten Grashalm. Wenn sich etwas änderte, auch nur geringfügig, bemerkte er es.

„...“

Eine Änderung der Erde.

Fußabdrücke - klein, aber menschlich.

In der Form von Sandalen. Flache Sandalen.

War es Nanami? Konnte nicht sein. Erstens konnte er sich nicht daran erinnern, ihr diese Art von Sandale gemacht zu haben, und zweitens waren die Fußabdrücke frisch - Nanami hätte ihn auf keinen Fall überholen können. In seine Gedanken vertieft, war er in einer fast vollkommen geraden Linie gegangen, Nanami jedoch war nicht nur zu schwach eine Schildkröte einzuholen, sondern auch so leicht desorientiert, dass sie, wenn sie in die Berge aufbrach, am Meer ankam.

Auf der gesamten Insel gab es nur sie beide. Wenn diese Fußabdrücke also nicht Nanamis waren und offensichtlich nicht seine, wem gehörten sie dann?

Durch das Ausschlussverfahren - nein, egal wie man darüber dachte oder auch wenn man, wie Shichika, nicht dachte, die Antwort war klar - jemand anderes war auf der Insel.

Kein Problem.

Nur lästig.

Fast wäre er sogar zuerst zur Quelle gegangen, um Wasser zu holen - aber er konnte sich nicht erlauben, die Fußspuren zu ignorieren. Sein Vater war, seitdem er verbannt worden war, neunzehn Jahre lang auf der Hut gewesen und hatte nach jemandem vom Festland Ausschau gehalten, der sich auf der Insel blicken ließ. Obwohl man einige Male in die Nähe kam, hatte nie jemand Fuß auf die Insel gesetzt.

Bis heute.

Nach dem Tod seines Vaters, wie auch sonst.

„Wenn Vater hier wäre, würde er sie eines Besseren belehren. Aber was soll ich tun? Sie begrüßen? Das überlasse ich besser Nanami.“

Mit sich selbst sprechend, passte Shichika seine Route an. Die gesamte Insel kennend, konnte er anhand der Fußabdrücke erraten, was der Fremde sich gedacht hatte. Man versuchte, dem einfachsten Pfad zu folgen. Da, wo es am einfachsten war, herzugehen - da dies die Berge waren, gab es keinen Pfad, aber abgesehen davon deuteten die Schritte nicht darauf hin, dass derjenige, der sie hinterließ, ein bestimmtes Ziel hatte - oder wenn doch, hatte er keine Ahnung, wie man dahin kam.

Oder vielleicht verlief er sich, wie Nanami, schnell.

Shichika wusste genau, wo er war, aber wenn ein normaler Mensch in diese Hügel aufbrach, würde er in große Schwierigkeiten geraten, zum Scheitern verurteilt. Allerdings, soweit Shichika sich erinnerte, hatte er noch nie einen „normalen Menschen“ getroffen. Vor zwanzig Jahren, als sein Vater sie hierher brachte, war er erst vier Jahre alt. Ihm fehlte die nötige Perspektive, um Wörter wie „normal“ oder „andere“ zu begreifen. Seine Welt hatte nur zwei Menschen - seinen Vater, ein Jahr tot, und seine Schwester, die er jeden Tag sah. Sein Vater hatte ihnen Fakten über die Außenwelt beigebracht - aber Fakten waren nicht Realität.

Mit ungewohnten Fußabdrücke und der Frage, wer sie hinterlassen hat konfrontiert, wäre eine normale Person vorsichtiger gewesen - oder hätte sich zumindest einem gewissen Maß an Überlegungen ausgesetzt, aber in Shichika Yasuris Fall war selbst diese Art des Denkens lästig.

Spekulation gehörte nicht zu seinen Spezialattacken.

Wäre er doch nur nach Hause gerannt und hätte seine Schwester um Hilfe gebeten, welche, trotz ihres identischen Insel-Lebens, der Spekulation nicht gerade abgeneigt war. Er wäre nie in das gewaltig lästige Abenteuer verwickelt worden, das folgen sollte – aber es kam, wie das Schicksal es wollte.

Was auch passieren mag.

Die Dinge kommen, wie sie kommen.

Katanagatari (German)/Buch 1/Zettou Kanna 2

Katanagatari (German)/Buch 1/Zettou Kanna 3

Katanagatari (German)/Buch 1/Zettou Kanna Epilog

  1. 氷床 HISHŌ "Eisboden"
  2. 左京 SAKYŌ Name eines Bezirks von Kyōto.
  3. 幕府 BAKUFU "Shogunat"
  4. 戦国時代 SENGOKU JIDAI Historische Periode des Krieges innerhalb Japans.
  5. 着 GI Beim Kampfsport getragenes Gewand.
  6. 木刀 BOKUTŌ "Holzschwert"
  7. 拳法 KENPŌ "Methode/Gesetz der Faust"
  8. 剣法 KENPŌ "Methode/Gesetz des Schwertes" homophon mit 拳法 KENPŌ.
  9. 虚刀流 KYOTŌRYŪ Fiktiver Katana Stil VORSICHT: KYOTŌ und nicht KYŌTO, wie die Stadt.
  10. 七花八裂 SHICHIKA HACHIRETSU "Sieben Feinde zerschlagen" spielt auf 八つ裂き YATSUZAKI "zerstückeln" und das Sprichwort 七転八起 SHICHITEN HAKKI "Sieben mal fallen, acht mal aufstehen" an.
  11. 不承島 FUSHŌJIMA "Missbilligte/Abgelehnte Insel"
  12. 面倒 MENDŌ Problematisch/Ärger/Lästig
  13. 鑢 七花 YASURI SHICHIKA "Siebte Blume der Akte" Die siebte Generation der Kyotouryu. Sein Familienname erinnert an ein Werkzeug, mit dem andere Geräte geschliffen oder abgerieben werden können
  14. 鑢 七実 YASURI NANAMI "Siebte Frucht der Akte"
  15. 羽織 HAORI kurze, über Kimono getragene Robe
  16. 姉ちゃん Nee-chan
  17. 生霊 IKIRYŌ "lebender Geist" Erscheinung einer lebenden Person
  18. 死霊 SHIRYŌ "toter Geist" Geist einer toten Seele
  19. 割れ鍋に綴じ蓋 WARENABE NI TOJIBUTA Japanisches Sprichwort