Sukasuka:Band 1 Kapitel 2 Teil 2

From Baka-Tsuki
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Teil 2: Der merkmalslose Mann[edit]

Was bin ich?! Willem stellte sich diese Frage oft, aber die Antwort war einfach: Ein Mensch, an einem Ort, an dem es keine Menschen geben sollte. Seine Existenz widersprach jeglicher Logik. Ohne eine Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren, wanderte er; er war ein für immer verlorenes Kind.

Als die Sonne langsam unterging, wurden die Hauptstraßen der Stadt, beleuchtet von kristallenen Lampen, die an den Wänden hingen, langsam lebhaft und bunt. Die vielen vorbeikommenden Leute wirbelten einen feinen lilafarbenen Staub auf. Ein Borgle erhob seine Stimme, um Kunden anzulocken. Eine katzenhafte Ayrantrobosfrau nahm einen Zug von ihrer Zigarre, während sie sich um ihren Laden kümmerte. Eine Gruppe junger Orks tollte durch die Straßen, während sie immer wieder in Gelächter ausbrachen. Die Seitenstraße, in der Willem saß, war im Vergleich dazu still. Obwohl nur ein einziges Gebäude zwischen den Straßen stand, war hier fast nichts von der Geschäftigkeit da draußen zu merken.

Er legte 32.000 Bradals auf den Tisch, wodurch seine restlichen Schulden noch ungefähr 150.000 betrugen. „Gib mir ungefähr ein halbes Jahr, Grick.“, Willem sah seinen Freund an und versuchte, sein bestes Lächeln aufzusetzen. „Bis dahin habe ich das Geld.“

Die beiden saßen in einem billigen Restaurant. Willem trug einen alten, zerschlissenen Umhang, hatte aber seine Kapuze nicht auf, was sein merkmalsloses Gesicht enthüllte.

“....” Der Mann namens Grick, ein durchschnittlich großer Borgle, zählte das Geld, das Willem ihm gegeben hatte, mit einem unzufriedenen Gesicht. In dem Umschlag befand sich ein großer Haufen kleiner Bradalscheine, was das Zählen unnötig in die Länge zog. Eine unangenehme Stille folgte.

„Ah … oh! Stimmt … wie geht es Anara und den anderen?“

„Anara? Nicht so gut. Wurde letzten Monat von einem Dritten erwischt.“, antwortete Grick knapp, ohne seine Augen vom Geld zu nehmen, „Ach ja, Gulgura starb ebenfalls. Du weißt doch, dass die 47. Insel letzten Sommer gesunken ist? Ja, er wurde mit hineingezogen … jetzt ist er nur noch ein kleiner Klecks auf der Oberfläche.“

„Ah … tut mir leid … ich hätte nicht fragen sollen.“ Nachdem er die schlechten Neuigkeiten gehört hatte, ließ Willem seine Schultern hängen. Grick, dem das anscheinend nichts ausmachte, lachte nur. „Mach dir keine Sorgen deswegen. Wir alle sind Sammler. Ab dem Moment, in dem wir zum ersten Mal einen Fuß auf diesen Boden setzen, sind wir bereit, zu sterben … oder andere sterben zu lassen, sollte es notwendig sein. Außerdem haben die beiden relativ lange gelebt. Die meisten Sammler sterben beim ersten Mal.“

Er war endlich fertig mit zählen. „Yup, das sind 32.000, in Ordnung.“ Grick ordnete die Papierscheine, bevor er sie in den Umschlag zurücklegte. „Aber Willem … bist du wirklich mit all dem zufrieden?“

„Womit?“

„Es hat dich ein halbes Jahr gekostet, diese 30.000 zu sammeln. Dir bleiben noch 150.000, also selbst, wenn es gut läuft, wird das nochmal zweieinhalb Jahre dauern.“

„Oh, das. Tut mir leid, aber im Moment kann ich es wirklich nicht schneller beschaffen.“

„Na, ich will dich nicht hetzen oder so, aber … “ Grick setzte kurz aus, um den Umschlag in eine zerschlissene Ledertasche zu stecken. „Wie du weißt, ist diese Insel hauptsächlich voller Merkmalslose-hassende Tiermenschen. Du wirst hier keine gute Arbeit finden. Im Moment hältst du dich gerade so mit zufälligen, schlecht bezahlten Jobs über Wasser, oder?“

„Ah … Na ja …“ Willem vermied es, Grick in die Augen zu sehen.

Grick zog die Brauen nach oben. „Also ist das beinahe das gesamte Geld, das du in den letzten Monaten verdient hast?“

„Abzüglich einiger Ausgaben für Essen … in letzter Zeit gab es bei der Arbeit nichts.“

„Das ist nicht das eigentliche Problem.“, sagte Grick mit einem Seufzer. Er fing an, mit seinen muskulösen Borglefingern verwirrt auf dem Tisch herum zu tippen. „Fängst du mit deinem Leben eigentlich auch was anderes an, als deine Schulden abzubezahlen? Das wollte ich sagen ... es ist ein halbes Jahr her, seit du aufgewacht bist. Hast du immer noch nichts, was du tun willst? Etwas, was du genießen möchtest?“

„Na ... du weißt doch, es heißt, allein schon am Leben zu sein macht Spaß...“

„Versuch gar nicht erst, mir mit so einem lausigen Grund einreden zu wollen, dass es okay ist, dass du ein langweiliges Leben führst.“, unterbrach Grick Willem scharf. “Ich lebe für das, was ich genieße. Ein Meer voller Schätze liegt dort unten am Boden; Materialien und Technologien, die wir hier oben nicht haben liegen einfach so herum und warten darauf, dass jemand sie mitnimmt. Das zu suchen und zu verkaufen, macht mir Spaß. Mit leeren Händen zurückkommen und am Ende zu sein … nun, das macht die Sache auf seine eigene Art interessanter. Aus Versehen in das Nest eines Sechsten zu treten … in solchen Momenten fühle ich mich am lebendigsten.“

Für einen Moment war Gricks Blick in die Ferne gerichtet, während er über seine erlebten Abenteuer nachdachte. „Das machen wir Sammler. Also, was ist mit dir, Willem? Wenn du ein ernster Typ bist, der einfach gern hart arbeitet, dann soll mich das nicht stören … aber hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, was du machen willst, nachdem du deine Schulden abgezahlt hast?“

„Ist dieser Kaffee nicht irgendwie salzig?“ Ein beinahe zu offensichtlicher Versuch, der Frage auszuweichen. Grick sah ihn seltsam an, aber da Willem ihm keine Antwort geben konnte, lachte er halbherzig. Eine weitere unangenehme Stille folgte.

Borgle sind an sich recht einfach gestrickt, sie folgen einfach ihren Instinkten. Natürlich gibt es unter den Individuen mehrere Variationen, aber Grick war ein derart klar und logisch denkender Borgle, dass Willem schon beinahe an ihm zweifelte. Er war nett, ein Wesenszug, mit dem Willem oftmals Probleme hatte.

„Sag mal Willem … ich habe vielleicht eine Stelle für dich. Warum probierst du es denn nicht einmal?“ Grick durchbrach die Stille mit einer Frage. „Ich kenne da jemanden, der nach Leuten sucht … es ist anständige Arbeit, aber es geht darum, längere Zeit mit Merkmalslosen zusammenzuarbeiten, weshalb sie nur wenige Interessenten findet. Aber ich denke, du hättest damit kein Problem.“

„Warum machst du es denn nicht? Ich meine, du hältst es doch immerhin auch mit mir aus.“

„Ich bin ein Sammler. Meine Seele gehört auf die Oberfläche. Jede Stelle, die mich hier oben gefangen hält, würde mich verrückt machen.“, sagte Grick kichernd. „Und wegen des Jobs … nun, um es einfach zu halten, du sollst dich um die geheimen Waffen der Flügelgarde kümmern.“

„Die Armee? Geheime Waffen?“ Diese Worte erweckten keinen sonderlich friedvollen Eindruck. Das Wort Armee bezieht sich hier auf Regul Aire normalerweise auf die offizielle Organisation, die damit beauftragt ist, Invasionen der 17 Biester abzuwehren. Trotz der extremen Höhenunterschiede hat die Flügelgarde noch immer große Schwierigkeiten damit, sich gegen die Biester zu Wehr zu setzen. Immerhin sind sie die Feinde, die alles Leben auf der Oberfläche ausgelöscht haben. Um jede verfügbare Feuerkraft zu erhalten, hat die Armee alle denkbaren Methoden benutzt – zumindest behauptet man das auf der Straße.

„Ich kann nicht mehr kämpfen. Du weißt das.“

„Ich weiß, ich weiß. Nur weil ich ‘Armee‘ sage, heißt das nicht, dass du in die Schlacht ziehst, um jemanden zu verprügeln. Es gibt auch einige Schreibtischarbeiten, die hinter der Bühne ablaufen, weißt du?“

„… was zum Beispiel?“ Gricks Beschreibung gab Willem nicht gerade viel Auskunft über seine Aufgabe. „Ist das etwas, was jeder alte Teilzeitarbeiter erledigen kann?“

„Ich denke nicht, dass das gutgehen würde. Wenn du dir Sorgen wegen des Papierkrams machst, darum kann ich mich kümmern.“ Grick lachte wieder. „Egal, hör mal. Mir wurde gesagt, dass diese geheimen Waffen eigentlich von der Orlandri-Großhandelsgesellschaft verwaltet und gewartet werden. Wie du weißt, verbietet das Gesetz normalen Bürgern den Besitz von Waffen über einem bestimmten Gefährdungsgrad. Orlandri ist allerdings Hauptsponsor des Militärs, weswegen sie sich dort nicht unbeliebt machen möchten. Außerdem, selbst, wenn das Militär diese Waffen sammeln würde, könnten sie sie mit ihrem derzeitigen technischen Stand und ihren finanziellen Ressourcen nicht verwalten.“

„Also ist die Armee auf Papier der Besitzer … aber in Wirklichkeit kontrolliert die Handelsgesellschaft die Waffen?“

„Richtig. Die Armee schickt einen Aufseher, macht ansonsten aber nichts. Für jeden richtigen Soldaten ist der Posten nutzlos. Man hat kaum Autorität und die Ergebnisse können nicht veröffentlicht werden, da man Geheimwaffen verwaltet. Ein großer Rückschritt auf der Karriereleiter. Deswegen suchen sie jetzt jemanden außerhalb der Armee.“ Grick starrte mit seinen gelben Augen auf Willem.

„Wie ich sagte, ich kann dir den offiziellen Titel als Soldaten besorgen. Da der Aufpasser wohl nichts besonderes macht, benötigst du keine zusätzlichen Fähigkeiten. Du musst nur Geduld haben und deinen Mund halten können. Alles in allem ist die Bezahlung auch ganz gut. Du kannst damit deine ganzen Schulden abzahlen und wirst auch noch einiges übrig haben.”

„Nimm das Geld und finde deinen eigenen Lebensweg. Ich weiß, dass du spezielle Umstände hast, aber verschwende das Leben, das dir geschenkt wurde, nicht einfach. Das ist, was die anderen und ich wo-” Grick schüttelte seinen Kopf. „Ah, tut mir leid … es scheint, als würde ich verweichlichen, weil so viele meiner Freunde gestorben sind.” Das Gesicht des Borgle verzog sich zu einem bitteren Lächeln.

Es wurde schwieriger, das Angebot abzulehnen. „In Ordnung, erzähl mir ein paar Details über die Arbeit.”

„Du wirst sie annehmen?“

„Das entscheide ich, nachdem ich mehr erfahren habe. Also sag nichts, was es mir unmöglich macht, abzulehnen.“

„Verstanden. Als Erstes ...“ Auf seinem Gesicht zeigte sich Zuversicht, weshalb Grick auf seine Kaffeetasse schaute. „Der Kaffee ist irgendwie salzig ...” Er lachte laut. Grick war ein logischer Denker und ein überraschend sympathischer Borgle. Mit anderen Worten, ein netter Gefährte. Willem hatte manchmal allerdings seine Probleme mit diesem Teil von ihm.


Die über einhundert schwebenden Inseln, aus denen Regul Aire bestand, wurden mit Nummern bezeichnet. In der Mitte der Gruppe lag die erste schwebende Insel und von dort aus erhöhten sich die Nummern in einem Spiralmuster. Je weiter man sich von der Mitte entfernte, desto höher wurden die Nummern. Es gab jedoch einige Spezialitäten, die man beachten musste. Die zentralen Inseln bis ungefähr Nummer 40 waren ihren Nachbarn sehr nah. In manchen Extremfällen konnten die Inseln sogar mit Brücken verbunden werden. Diese Nähe der anderen Inseln beflügelte den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch, was zu wohlhabenden Städten führte. Auf der anderen Seite dagegen waren Inseln, die sehr weit außen lagen, ungefähr ab Nummer 70 oder so, weit von den anderen entfernt und meistens sehr klein. Das führte zu wenigen Städten, weniger Einwohnern und natürlich auch weniger Wohlstand. Manche waren so isoliert, dass nicht einmal die öffentlichen Kommunikations-Luftschiffe auf ihrer Route dort anhielten.

Die Einrichtung, zu der Willem für seine neue Stelle gehen musste, war auf der 68. Insel angesiedelt. Weit genug entfernt, um nicht direkt mit einem öffentlichen Kommunikations-Luftschiff dorthin zu kommen, brauchte es ein paar kreativere Arten, um ans Ziel zu gelangen. Ein privates Luftschiff zu kaufen oder zu mieten war finanziell nicht möglich, also entschied sich Willem dazu, ein öffentliches Luftschiff bis zu Insel 53 zu nehmen, welche seinem Ziel am nächsten lag. Von dort aus heuerte er einen Fährmann an, ihn nach drüben zu bringen. Seine Berechnungen waren perfekt - von einer Sache abgesehen, die Willem bemerkte, als er auf der 68. Insel ankam. Die Sonne war bereits komplett untergegangen. Ein starker, kalter Wind wehte hier. „Haha … nun, das war wohl ein Fehler.” Alleine am verlassenen Hafen lachte Willem in sich hinein. Der Saum seines Mantels, den er über seiner neuen Armeeuniform trug, flatterte wild im Wind. Der Fährmann war zügig zur 53. Insel zurückgefahren, nachdem er Willem abgesetzt hatte, also gab es keinen Rückweg. Er sah ein stark verwittertes Schild, welches zu lange den Elementen ausgesetzt war. Laut ihm war die nächste Stadt 2000 Malumel entfernt nach rechts, während das vierte Warenhaus der Orlandri Handelsgesellschaft 500 Malumel nach Links entfernt lag. Neben dem Schild zeigten zwei hölzerne Pfeile in die entsprechenden Richtungen.

„Das muss es sein”, murmelte Willem zu sich selbst, als er den Namen Orlandri erkannte. Der Pfeil zeigte in Richtung eines schmalen Pfades, der direkt in einen tiefen Wald hineinführte. Natürlich war keine einzige Lampe oder etwas ähnlich Komfortables in Sicht. Auch wenn es sich nicht sonderlich toll anhörte, ohne Licht da durch zu maschieren, konnte Willem nicht einfach hier herumsitzen und bis zum Morgen warten. Er dachte daran, den anderen Weg zu nehmen und sich in der Stadt eine Unterkunft zu suchen, aber der Weg war recht lang und auch nicht wirklich besser beleuchtet. Also blickte er ein letztes Mal in den mit Sternen übersäten Himmel, seufzte und lief in die Dunkelheit.

Die Sterne leuchteten hin und wieder durch Lücken zwischen den Bäumen, was Willem gerade genug Licht gab, um auf dem Pfad zu bleiben. Dadurch war er gleichzeitig aber auch dazu gezwungen, sich lachhaft langsam vorwärts zu bewegen.

“Es ist dunkel.” Natürlich wusste Willem das bereits, bevor er den Wald betreten hat. “Ich kann nicht einmal sehen, wohin ich trete.” Auch das wusste er schon davor, aber er konnte einfach nicht anders, als sich darüber zu beschweren.

Vor sich hinstapfend erinnerte sich Willem an ein Märchen, welches er als Kind gelesen hatte.

Ein Junge ging in einer Sommernacht in den Wald und kam nie mehr nach Hause. Im Wald entführte ihn eine Gruppe Feen und nahm ihn mit in ihr Land in eine andere Welt - oder so ähnlich. Zu der Zeit dachte Willem, dass ihm das Gleiche passieren könnte, also schwor er sich, dass er niemals Nachts in einen Wald gehen würde. Sein Meister und die “Tochter” hatten ihn deswegen immer wieder aufgezogen. Jetzt, wo er nicht länger ein kleiner Junge war, erschien ihm das wie eine lustige Geschichte, aber …

“Hier draußen gibt es keine gefährlichen Tiere, oder?”

Bei “Von Feen entführt” und “von wilden Tieren gefressen”, war Letzteres vermutlich das wahrscheinlichere. Dieser Wald und die 68. Insel waren für Regul Aires Standards bereits sehr groß. Der Ort war der früheren Beschaffenheit der Natur auf der Oberfläche sehr ähnlich, also konnte er die Möglichkeit, dass ein Wolf oder ein Bär aus der Dunkelheit erscheinen würde, nicht verleugnen.

“Würde ich einen Bärenangriff überleben?”, fragte sich Willem. Für sein ehemaliges Selbst wäre das kein Problem. In seinem derzeitigen Zustand, in dem er all seine Kraft verloren hatte, war er sich nicht so sicher. Er fühlte etwas Nasses unter seinen Füßen. Anscheinend war er, während er in Gedanken schweifte, etwas vom Pfad abgekommen. Vom Geruch des Wassers und dem Geräusch sowie der Beschaffenheit des Bodens her, schätzte Willem, dass er in einem Sumpf landete.

Die Mischung aus Wasser, Dreck und Wind führte zu einem einzigartigen Geruch, den Willem aus irgendeinem Grund sehr nostalgisch empfand. “Sind wir hier wirklich im Himmel?“ Willem lächelte bitter, als er, über sein Zuhause nachdenkend, durch einen pechschwarzen Sumpf watete. Am Rande seines Sichtfeldes bemerkte er ein Licht. Der leuchtende Ball wackelte stark hin und her, während er langsam größer wurde. Etwas kam auf ihn zu.

“Kommt mich etwa jemand abholen?”

Als das Luftschiff des Fährmanns hier am Hafen landete, wurde die Einrichtung eventuell irgendwie benachrichtigt. In dem Fall wäre es nicht überraschend, wenn ein Techniker oder ein Forscher kommen würde, um ihn abzuholen. Ach, ihr hättet nicht den ganzen Weg hier heraus kommen müssen, um mich zu holen. Willem spielte in seinem Kopf ein Gespräch ab, als er zu dem Licht ging.


“Nimm das!”

Das Licht sprang in die Luft. Ein Kampfschrei, etwas zu süß, um als Schrei durchzugehen, drang durch die Stille. Willem sah ein hölzernes Schwert mit überraschender Geschwindigkeit aus der Dunkelheit auf sich zufliegen. Warum?! Er versuchte verzweifelt, einen Grund dafür zu finden, dass er plötzlich attackiert wurde. Egal, das war schlecht. Es wäre einfach, auszuweichen. Das Problem war, dass der Angreifer, der momentan durch die Luft flog, eine perfekte Parabel beschreiben und direkt in den sumpfigen Boden hinter Willem krachen würde.

Was sollte er tun … was sollte er tun? Bevor sein Kopf mit einer brauchbaren Idee aufwarten konnte, begann sein Körper, sich von alleine zu bewegen. Willem ging einen Schritt nach vorne, was ihn unter den Bogen brachte, den das Holzschwert in der Luft vollzog. Er streckte die Arme aus und fing die volle Wucht des Aufpralls vom Körper des Angreifers ab. “Au. Schwerer, als ich dachte … Ich denke nicht, dass ich das noch länger halten kann ...” Sein Instinkt als Soldat begann zu arbeiten; brachte seinen Körper in den Kampfmodus und versuchte, das Venom in ihm zu aktivieren. Dieser Prozess würde normalerweise seine Muskeln stärken und seine Entscheidungsfindung beschleunigen, aber stattdessen fuhr ein starker Schmerz durch Willems Körper. Die Kraft wich aus seinem Armen und er fiel nach hinten, wodurch er mit einem lauten Platschen im Sumpf landete.

Bis sich das Wasser beruhigte, war ein Großteil der Wärme aus Willems nassem Körper entwichen. Eine kleine Flamme, wahrscheinlich durch Venom erzeugt, brannte in der rechten Hand des Angreifers. Das Licht sah so aus, als würde es seine eigene, kleine Welt erzeugen, die von der Dunkelheit getrennt war.

Der Angreifer saß auf Willems Bauch und sah ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln an. Willem konnte Lila Haare und Augen erkennen.

“Pannibal! Was machst du denn da?!”

Ein zweites magisches Licht erschien zwischen den Bäumen und kam auf sie zu. Kurz darauf erschien ein weiteres junges Mädchen vor Willem. Willem erkannte ihr blaues Haar. Das lilafarbene Mädchen, das auf ihm saß, hob die Hand und prahlte vor dem Neuankömmling: “Der verdächtige Kerl wurde besiegt!”

“Du sollst hier doch nicht herumrennen, der Boden ist so nass. Das ist gefähr-- hä?” Das vertraut aussehende Mädchen starrte Willem mit einem überraschten Blick an. “Der verdächtige Kerl … du? Warum?”

“Hey … wir haben uns lange nicht gesehen ...” Er hob seine Hand im Versuch, zu winken, und lächelte dem Mädchen zu.


Natürlich konnte Willem nicht ewig durchnässt liegen bleiben. Nach einem langen Bad und einem Kleiderwechsel stand er vor einem Spiegel. Ein schwarzhaariger Mann starrte ihn an, mit schwarzen Augen, in denen sich keine Ambitionen spiegelten. Das falsche Lächeln, das er trug, erschien so natürlich, als wären seine Muskeln für immer in dieser Position erstarrt.

Um zu verstecken, dass er ein Merkmalsloser war, versuchte Willem einmal, falsche Hörner und Fänge aufzusetzen. Die sahen aber so schrecklich aus, dass es ihn beinahe deprimierte. Er schlussfolgerte daraus, dass sie dafür gemacht waren, die wilde Seite der Person zu betonen, also passten sie nicht zu jemandem, der diese Seite nicht hat.

Während er seinen Körper überprüfte, um zu sehen, ob er irgendwo noch schmutzig war, oder ob ihm noch etwas schmerzen bereitete, musste er daran denken, wie erbärmlich schwach er geworden war. Schon der Versuch, etwas Venom zu erzeugen, führte zu dieser Situation.

Früher hätte er selbst im Schlaf eine Flamme erzeugen können, die man im Kampf benutzen konnte.

“Na, ich denke, es ergibt keinen Sinn, über Dinge nachzudenken, die ich bereits verloren habe." Willem ging hinaus in einen Gang der Armee-Einrichtung - die überhaupt nicht nach einer aussah. Der Boden bestand aus alten, ausgetretenen Holzbrettern und Stuck überzog die Wände. Die Wand war von einigen Räumen gesäumt, die in gleichmäßigen abständen platziert waren. An der Wand hingen drei Zettel: Einer, der die Aufteilung und Reihenfolge der Hausarbeiten beschrieb, einer, der vor einer defekten Toilette im zweiten Stock warnte und einer, auf dem stand: “In den Gängen wird nicht gerannt!”. Zu guter Letzt konnte er junge Mädchen sehen, die hinter verschiedenen Objekten hervorschielten und alle versuchten, einen Blick auf den seltsamen, neuen Mann zu werfen.

“Hier entlang.”

Das blauhaarige Mädchen führte ihn herum. Jetzt, da er eine weitere Chance hatte, sie genauer zu betrachten, änderte Willem seine Alterseinschätzung auf 15, basierend auf menschlichen Standards. Als Merkmalslose hatte sie einen Körper und auch Proportionen, die denen der Menschen stark ähnelten. Was sie davon unterschied, waren ihre strahlend blauen Haare, die ihn stark an einen klaren Frühlingshimmel erinnerten. Ein Emnetwhyte hätte niemals eine solch natürliche, kraftvolle Farbe hinbekommen, egal, welches Mittel er benutzt hätte.

Das Mädchen schien nun deutlich ruhiger zu sein, als im Einkaufsbezirk und verhielt sich Willem gegenüber abweisend. Aber Willem konnte erkennen, dass das nicht ihre Art war. Jedes Mal, wenn sie sich verwirrt oder unsicher fühlte, zeigte sich das in ihren blauen Augen. Man sagt, es ist egal, wie man sich auf einer Reise verhält, weil man diese Personen nie wieder sieht. Das lebhafte Mädchen, das Willem vor ein paar Tagen sah, war wohl das Ergebnis dieses Denkens. Sie erinnerte ihn an eine Kameradin, mit der er vor langer Zeit zusammenarbeitete. Diese Person tat sich schwer damit, ehrlich zu sich selbst zu sein. Als er sich an seine alten Freunde erinnerte, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.

„W-Was ist denn?“

„Ah, nichts. Mach weiter.“

Hin und wieder drehte sich das Mädchen nervös nach Willem um, während sie so aussah, als würde sie etwas sagen wollen. Dann drehte sie sich jedoch sofort wieder nach vorne und brachte etwas Distanz zwischen sich und Willem. Da er sich deswegen nicht richtig mit ihr unterhalten konnte, folgte Willem ihr leise - einige Schritte entfernt. Das Mädchen mit den lilafarbenen Haaren, Pannibal, das wohl um die zehn Jahre alt war, sah das seltsame Paar neugierig an. Nach kurzer Zeit erreichten sie einen gemütlichen Raum, der einen kleinen Tisch, einen Stuhl, ein Bücherregal, ein Bett und diverse andere Bequemlichkeiten enthielt.

„Das hier soll doch ein Warenhaus sein, oder?“ Die Frage, die sich Willem stellte, seit er diesen Ort betreten hatte, entschlüpfte ihm plötzlich.

„Eine typische Reaktion.“

Im Raum saß eine Frau. Eine weitere Merkmalslose. Ausgehend von ihrer Erscheinung schien sie um die 18 Jahre alt zu sein, also so alt wie Willem, oder vielleicht etwas älter. Ihr leichtes, rotes Haar reichte ihr bis zu den Schulter. Ihre grasgrünen Augen waren fest auf Willem gerichtet und sie trug eine Bluse in ähnlicher Farbe und darüber eine Schürze. Ihr sanftes Benehmen und ihre guten Manieren führten zu einem eleganten Eindruck.

„Willkommen im geheimen Lagerhaus.“, sagte die Frau mit einem Lächeln. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Willem. Bist du gewachsen?“

„… Warum bist du hier, Nygglatho?“, stöhnte Willem.

Von außerhalb des Raumes ertönte ein Geräusch, als würde etwas zerbrechen, aber Willem gab vor, er hätte es nicht gehört.

„Warum? Natürlich, weil ich hier arbeite. Es hat mich überrascht, als ich es von Grick erfahren habe. Ich hätte nicht gedacht, dass sie dich hierher schicken. Oh, Glückwunsch zur Beförderung, Willem Kmetsch, Zweiter Magischer Waffentechniker. So eine Position noch am selben Tag zu bekommen, an dem man dem Militär beitritt … du steigst ziemlich schnell auf, hm?“

„Mach dich nicht über mich lustig … Ich weiß, dass es ein leerer Titel ist. Ach ja … derjenige, der nach Leuten sucht, die ihm bei einer anständigen Arbeit helfen, den Grick erwähnte ...“

„Ach, das war wahrscheinlich ich.“

„Dieser Bastard.“ Willem notierte sich in Gedanken, dass er Grick bei ihrem nächsten Treffen eine verpassen würde. Er war vermutlich darauf vorbereitet, da er Willem diese Falle wissentlich gestellt hatte.

„Der Wald ist zu dieser Zeit ziemlich unheimlich, oder? Wenn du uns kontaktiert hättest, hätten wir dich bei einer nahegelegenen Insel abholen können, oder so.“ Nygglatho bedeutete Willem, sich zu setzen. Ein Teeservice wurde am Tisch vor ihm ausgebreitet, das wohl vorbereitet worden war, während er ein Bad nahm.

„Ich bin so lange Reisen mit dem Luftschiff nicht gewohnt … die 28. Insel ist deutlich weiter von hier entfernt, als ich erwartet hatte. Nächstes Mal gebe ich euch vorher Bescheid.“

„Bitte mach das … und nebenbei, die Klamotten stehen dir“

„Auch wenn die Person, die sie momentan trägt, sie als zu eng empfindet und denkt, dass es schwer ist, darin zu atmen ...“

„Sag doch nicht so traurige Sachen, Willem … verglichen mit damals, als du gerade erst aufgewacht bist, siehst du ungefähr 20 Prozent schmackhafter aus.“

„… Also ist auch das Risiko, das ich sterbe, um 20 Prozent gestiegen.“

„Ach, sei doch nicht so gemein … du kannst mir vertrauen. Ich habe es dir doch schon gesagt, oder? Auch, wenn ich ein Troll bin und du ein äußerst seltenes Gericht bist, habe ich nicht vor, dich zu fressen.“ Nygglatho legte ihre Hände aneinander, neigte ihren Kopf etwas zur Seite und fuhr fort. „Ich meine, es wäre doch eine Schande, den letzten Menschen auf der Welt zu verschwenden, nur, um vorübergehend seinen Hunger zu stillen.“ Willem musste zugeben, dass ihre Geste süß war, doch ihre Worte jagten ihm einen Schauer über den Rücken.

„Wenn du aber sagst, dass es okay ist, wenn ich dich esse, dann werde ich es mir überlegen ...“

„Nein. Das ist garantiert nicht okay.“

„Hm? Überlegst du es dir nicht vielleicht nochmal? Wie wäre es mit einem Arm? Oder einem Finger?“

Willem seufzte. Je länger diese Diskussion dauerte, desto gefährlicher wurde sie für ihn. Trolle, klassische Beispiele für Monster, tauchten früher, in Willems Zeit, oft in Gruselgeschichten von Reisenden auf. Ein attraktiver Mann oder eine schöne Frau lebte ganz alleine in einem Haus, welches weit entfernt von jeder Stadt lag. Sollten müde Wanderer vorbeikommen, würden sie diese einladen, sie mit einem Festmahl begrüßen, sich um sie kümmern und sie dann mitten in der Nacht fressen.

Bis vor Kurzem dachte Willem, diese Geschichten wären alle nur Mythen, Geschichten, erfunden, um neuen Reisenden beizubringen, dass sie in unbekannten Gebieten vorsichtig sein mussten. Als er herausfand, dass sie wirklich als eine Unterart der Oger existieren, starrte Willem für ungefähr fünf Minuten perplex vor sich. Danach sagte Nygglatho, die ihm das erzählte, etwas wie: „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass man von mir denkt, ich wäre nur ein Mythos“.

Willem hörte außerhalb des Raums wieder ein Geräusch. Er konnte mehrere Präsenzen fühlen, entschloss sich aber auch dieses Mal wieder dazu, diese zu ignorieren.

„Lass uns über die Arbeit reden … mir wurde gesagt, ich hätte kaum was zu tun, aber sonst weiß ich nichts. Was soll ich ab morgen machen? Oder eher, gibt es etwas, was ich heute erledigen sollte?“

„Hm … mal sehen. Hast du vor, hier zu bleiben?“

„Natürlich. Ich wurde hierher geschickt, um mich um diese ‘Waffen‘ zu kümmern, also sollte ich wenigstens am selben Ort leben.“

„Die letzten beiden Personen in deiner Position tauchten am ersten Tag hier auf, gingen wieder und haben sich dann nie wieder blicken lassen, weißt du?“

„Ernsthaft?“ Es schien, als wäre diese Aufgabe noch lächerlicher, als Willem erwartet hatte.

„Wenn du also etwas wie ‚als würde ich hier leben wollen!‘ gesagt hättest und dann irgendwo anders auf der Insel geblieben wärst, wäre das auch kein Problem gewesen ...“

„Das ist eine dieser Gelegenheiten, bei denen du sagst, es ist okay, aber sobald ich mich umdrehe, erstichst du mich, oder?“

„Was denkst du eigentlich, was ich bin …?“

Ein menschenfressender Oger natürlich. Willem stieß einen langen Seufzer aus. „Nun, es ist gegen meine Prinzipien, eine Aufgabe einfach so abzubrechen, auch, wenn sie bedeutungslos ist. Ich hatte von Anfang an vor, hier zu bleiben.“

„Wirklich? Toll!“ rief Nygglatho und legte ihre Hände an ihren Mund. „Nun, dann sollte ich mich beeilen und deinen Raum vorbereiten. Oh, du bist wahrscheinlich auch hungrig. Vielleicht ist in der Essenshalle auch noch etwas übrig … Morgen werde ich dir ein Festmahl vorbereiten, also freu dich darauf!“

Ein weiterer Seufzer. Willem fand es schon immer schwierig, mit Nygglatho klar zu kommen. Wenn man die Tatsache, dass sie ihn essen wollte (was sehr schwer außer Acht zu lassen ist) außer Acht lässt, fühlte sich etwas an ihrem Verhalten … für ihn als Mann einfach nicht richtig an.

„Hehe … mich um Willem kümmern … es ist ungefähr ein Jahr her, oder? Ich bin irgendwie aufgeregt.“

Willem war ein Mann, und vor allen Dingen auch ein junger Mann. Als junger Mann hatte er viele unkontrollierbare Gefühle in seinem Herzen. Mit anderen Worten, eine Situation wie diese, in der sich eine freundliche junge Frau (die von einer ähnlichen Rasse stammt) um ihn kümmert, ließ sein Herz etwas schneller schlagen.

Er wusste es aber besser, als die Freundlichkeit von Nygglatho, hinter der wahrscheinlich überhaupt keine romantischen Gefühle steckten, falsch zu interpretieren. Ihre Zuneigung war im Wesentlichen die gleiche, die die Bauern ihren Kühen oder Hühnern entgegen brachten. Sie war nett zu Willem, um den Kreislauf zu vervollständigen (mit viel Liebe großziehen -> essen). Beruhig dich. Überleg mal. Der Mensch vor deinen Augen ist ein Raubtier. Dein Herz schlägt so schnell, weil dein Leben in Gefahr ist. Versteh das nicht falsch. Willem sagte sich das immer wieder, bis sich sein Herzschlag beruhigt hatte.

"Warum machst du so ein düsteres Gesicht?" Der jungen Frau blieb der innere Kampf des jungen Mannes völlig verborgen.

"Nur um nochmal sicher zu gehen, du wirst mich nicht fressen, richtig?"

"Nein, nein, ich will mich wirklich nur um dich kümmern. Wir Trolle haben den natürlichen Wunsch, unsere Gäste so freundlich wie möglich zu empfangen. Ich verspreche, ich werde dich (noch) nicht essen."

"Ookayy ... warum wiederholst du das, was du gerade gesagt hast, nicht noch einmal laut und deutlich."

"Hm? Ich habe nichts gesagt ", antwortete Nygglatho lässig, stand dann leise auf und ging, um die Tür zu öffnen.

Eine Lawine aus Orange, Grün, Violett und Pink überflutete den Teppich. Vier junge Mädchen, alle etwa zehn Jahre alt, mit sehr bunten Haaren, lagen aufeinander.

"Hey! Nicht drängeln!", weinte ein Mädchen, das unter ihren Partnern steckte.

"E-E-Entschuldigung! Entschuldigung!", jammerte eine andere, während sie wiederholt ihren Kopf neigte.

"Hey, Nygglatho, was gibt's?", sagte das Mädchen mit Namen Pannibal gelassen.

"Hey! Meine Schuld!" Das letzte Mädchen entschuldigte sich beiläufig mit einem energischen Grinsen. Alle Mädchen fingen gleichzeitig an zu reden. Nygglatho, die nicht auf sie achtete, legte beide Hände hinter ihrem Rücken, stand auf und gab ein einziges Kommando. "Geht zurück in eure Zimmer."

Eines der Mädchen hob vorsichtig die Hand. "Vorher wollten wir uns dem neuen Vorgesetzten vorstellen ..." Die anderen nickten zustimmend.

"Habt ihr gehört, was ich gesagt habe?" Sie legte ihren Kopf leicht zur Seite und sah die Mädchen streng an. Dann lächelte sie. "Oder, wenn ihr nicht zuhört ... könnte ich euch auffressen!" Selbst während sie den Mädchen drohte, sprach sie leise und sanft wie eine Mutter, die ihr Baby tröstete.

Ohne einen Moment zu zögern verschwanden die kleinen Mädchen aus dem Zimmer. Ein eindrucksvoll ausgeführter Rückzug.

Nygglatho drehte sich um und rief nach Willem.

"Ah ..." Noch ein wenig überwältigt von der Situation, konnte er kaum antworten.

Während des gesamten Essens lächelte und summte Nygglatho, jetzt in fröhlicher Stimmung, leise, während sie ihn beobachtete. Aufgrund dessen fühlte sich Willem die ganze Zeit etwas unwohl.

SukaSuka Chapter 2 Part 2.png


Das Zimmer des Aufsehers hatte fast nichts zu bieten. Während der Raum an sich nicht klein war, enthielt er nur ein Bett, einen leeren Schrank und eine Lampe an der Wand. Der harte Holzfußboden war ohne Teppich und an den Fenstern gab es keine Vorhänge. Der Blick nach außen war komplett schwarz, so, als ob das Fenster mit Tinte übermalt worden wäre. Willem, der nach draußen starrte, fühlte sich wie von der überwältigenden Dunkelheit eingesaugt, oder besser gesagt, zerquetscht.

Ziemlich gutes Zimmer, dachte Willem. Bis dahin lebte er in einer Wohnanlage für Borgle-Arbeiter. Neben der Sauberkeitsfrage konnte Willem auch nicht in den zur Verfügung gestellten Betten schlafen, weil die Körpergröße zwischen ihm und einem Borgle zu unterschiedlich war. Jeden Abend lag er auf dem Boden und rollte sich in eine Decke. Im Vergleich dazu wirkte fast jeder Raum wie der Himmel. Willem warf sein Gepäck auf den Boden und testete das Bett. Die weiche Matratze und die schwach duftenden Laken heilten allmählich die Müdigkeit in seinem Körper und luden ihn so in einen tiefen Schlaf ein.

"... vorher ..."

Er schaffte es, vor dem Einschlafen wieder vom Bett aufzustehen. Zuerst musste er aus seiner schmutzigen Armeeuniform raus. Danach stopfte er seine wenigen Klamotten in den Schrank. Es schien keinen Platz zu geben, in dem er seine übrigen Sachen verstauen konnte. Da diese ohnehin nicht viel Platz brauchten, ließ er sie also in seiner Tasche.

Es war still. Die Stille tröstete Willem, der sich an den allgegenwärtigen Tumult auf Insel 28 gewöhnt hatte. Oder vielleicht auch nicht …

"Glaubst du, er schläft?"

"Ich weiß nicht ... es ist mein erstes Mal, dass ich einen Jungen treffe."

"Sprich etwas leiser. Er könnte uns bemerken."

Einige wenige flüsternde Worte jenseits der Tür unterbrachen die friedliche Stille. Wahrscheinlich die Kinder, die Nygglatho schon vorher verjagt hatte ... sie gaben wirklich nicht auf. Willem hielt den Atem an und ging auf die Tür zu, ohne ein einziges Geräusch zu machen. Er legte seine Hand auf den Türgriff, zählte bis drei und stieß sie dann auf. Die kleinen Mädchen stolperten in den Raum und wurden so zur zweiten Lawine des Tages.

"W-Was?!"

"E-Entschuldigung! Entschuldigung!"

"Hey, Herr Aufseher! Schöner Abend, nicht wahr?"

Willem kniete sich hin, um Augenkontakt mit den Mädchen aufzunehmen und hielt einen Finger an seinen Mund. Sie blinzelten eine Sekunde lang überrascht, hielten dann aber ihre Finger auf die Lippen und errieten, was Willem sagen wollte.

Nygglatho wird euch fressen. Sie alle, die Mädchen und Willem, schienen das Gleiche zu flüstern, indem sie sich gegenseitig ansahen. Egal, zu welcher Zeit oder an welchem Ort, wenn man Kinder dazu bringen will, etwas zu tun, verängstigt man sie zuerst mit der Anwesenheit eines Dämons.

Willem gestikulierte den Mädchen, sie sollten ins Zimmer kommen. Es gab nicht genug Stühle für alle, aber man würde sie sicher erwischen, wenn sie weiter in der Tür stehen würden. Als sie den Raum betraten, drängten die Mädchen Willem an die Wand.

"Wo kommst du denn her? Zu welcher Rasse gehörst du?"

"Was läuft zwischen dir und Nygglatho? Euer Gespräch klang ziemlich tiefgründig!"

"Hast du eine Freundin? Was für Mädchen magst du denn?"

"Hast du ein Lieblingsessen? Oder etwas, was du nicht verträgst?"

"Übrigens, von all den Fragen, die wir gerade gestellt haben, welche würdest du zuerst beantworten?"

Wie eine reißende Flut ergossen sich endlos weitere Fragen über Willem, bis dieser seine Hand hob und ihnen signalisierte, dass sie aufhören sollten.

"Ich beantworte deine Frage zuerst. Ich habe keine Freundin, aber ich mag nette und zuverlässige Frauen, die etwas älter sind als ich. Mein Lieblingsessen ist super scharfes Fleisch, und es sollte nichts geben, was ich nicht essen kann -- aber vor ein paar Tagen, als ich eine Reptrace Lunchbox sah, habe ich mich fast übergeben. Meine Beziehung zu Nygglatho ist wie die eines Bauern und seiner streunenden Kuh. Bis heute Morgen lebte ich auf der 28. Insel. Was meine Rasse betrifft ... anscheinend habe ich eine Menge unterschiedlicher Rassen im Blut, also weiß ich es nicht genau", antwortete Willem auf jede einzelne Frage und zeigte dabei auf diejenige, die sie gestellt hatte.

Aus dem Mund der Mädchen kam ein Hauch der Bewunderung. Zufrieden mit sich selbst, lachte Willem selbstgefällig. Da er in einem Waisenhaus aufgewachsen war, war die Unterhaltung von Kleinkindern eine seiner Spezialitäten. Übrigens, wann immer die 'Tochter', die im selben Waisenhaus aufgewachsen war, Willem so sah, nannte sie ihn gruselig. Ahh ... Kinder sind toll. Mädchen, im Gegensatz zu Frauen - besonders ein bestimmter böser Troll - verwirrten Willem nicht mit irgendeinem anzüglichen Verhalten. Er brauchte nicht misstrauisch zu sein, ob hinter ihrer Freundlichkeit irgendwelche Hintergedanken steckten. Ahh ... was für wunderbare Kreaturen.

"Ich heiße Willem. Ich werde hier eine Weile aushelfen."

"Wirst du hier wohnen?"

"Ja, das gehört schließlich zu meinem Job."

Noch ein Seufzer der Bewunderung. Aus dem Flüstern der Mädchen konnte Willem erahnen, dass ein Außenstehender, der hier übernachtete, ein seltenes Ereignis war. Es ergab Sinn, denn die 68. Insel war nicht leicht zu erreichen, wie Willem an jenem Tag herausgefunden hatte. Ein neues Gesicht um sich herum zu haben, musste für die Mädchen ein aufregendes Ereignis sein.


"Hey! Was macht ihr da?" Eine schimpfende Stimme ertönte aus dem Türrahmen.

Die kleinen Mädchen erstarrten. Vor dem Zimmer stand nicht Nygglatho, wie Willem zuerst dachte, sondern das Mädchen mit den himmelblauen Haaren.

"Er hat einen langen Weg hinter sich und muss müde sein, also belästigt ihn nicht. Hat Nygglatho euch das nicht gesagt?"

"Ähm ... ähm ..." murmelte das orangehaarige Mädchen.

"Ich kann meine Neugier nicht bremsen", sagte die mit lilafarbenen Haaren.

"Das ist es! Das nennt man eine unwiderstehliche Anziehungskraft", rief das Mädchen mit rosafarbenen Haaren.

Den Strom an Ausreden unterbrechend, schimpfte das blauhaarige Mädchen noch einmal. "Nygglatho hat es euch gesagt, oder?"

"Ja, Ma' am!!"


Die kleinen Mädchen traten den nächsten perfekten Rückzug an. Willem hörte Stimmen, die sich verabschiedeten, während sie sich immer weiter entfernten.

“Hm, sie hören einem nie zu.” Sie sah zu Willem. “Tut mir leid deswegen … die Kleinen sind immer so nervig.”

“Das macht nichts … Ich bin es gewöhnt, Kinder um mich herum zu haben.”

“Nun, das ist schön zu hören, aber verwöhn sie nicht zu sehr. Wenn du nicht auf sie aufpasst, drehen sie durch.”

“Ha ha. Ja, ich werde aufpassen.” Willem fing an zu lachen, was aus irgendeinem Grund dazu führte, dass das Mädchen schlucken musste, als wäre sie verängstigt.

Eine kurze Stille folgte. Willem dachte, das Mädchen würde gehen, nachdem es die Kinder verjagt hatte, doch es rührte sich nicht. Sie schien sich an etwas zu erinnern. “Ah … tut mir leid wegen Pannibal vorhin im Wald. Sie war etwas zu energiegeladen … sie wollte dich nicht verletzen.”

“Das passt schon … Ich bin nicht wütend. Dank des Bades werde ich mich auch nicht erkälten.”

“Ah … Verstehe … äh ...” Sie machte eine weitere Pause. “Chtholly ...”

“Hm?”

“Mein Name. Wie soll ich sagen … Es ist etwas blöd, weil ich dir gesagt habe, dass du mich vergessen sollst … du musst ihn dir natürlich nicht merken … aber ich dachte, da du jetzt hier bist und so … sollte ich ihn dir wenigstens sagen.”

“Ah ...” Willem dachte kurz nach. Oh, richtig. Wir haben uns nie unsere Namen gesagt. “Ich bin Willem. Nett, dich kennenzulernen, Chtholly.”

Sie sammelte kurz ihren Mut. “Außerdem … äh ...” Unfähig, die richtigen Worte zu finden, sagte sie schließlich: “Vergiss es. Tut mir leid, dass ich dich gestört habe … ruh dich gut aus.” Als Chtholly sich umdrehte, um zu gehen, erinnerte sich Willem plötzlich an etwas. Er hatte es wegen der unerwarteten Wiedervereinigung mit Nygglatho vergessen, aber eine Frage blieb ihm seit seiner Ankunft ständig im Kopf.

“Warte … Ich wollte dich noch etwas fragen.”

“Was?”

Die Tür, die sich eben erst geschlossen hatte, öffnete sich langsam wieder.

“Ich bin als Manager der Waffen der Handelsgesellschaft hier.”

Das Mädchen nickte.

“Und dieser Ort ist ein Lager, in dem sich die Waffen befinden.”

“Mhm.” Sie nickte erneut.

“Aber egal wie oft ich mich umsehe, dieser Ort sieht für mich nicht wie ein Lagerhaus aus. Wo sind die Waffen?” Er sah sich im Raum um. Er warf einen Blick aus dem Fenster. Wo auch immer er hinsah, alles, was Willem sehen konnte, war ein Wohngebäude. Nicht die kleinste Spur eines Lagers. Vielleicht hatte Willem, nachdem er davon gehört hatte, dass die Waffen benutzt wurden, um gegen die “17 Biester” zu kämpfen, auch einfach nur angenommen, es wären riesige Golems oder so; diese wären aber in Wirklichkeit nicht so groß. In dem Fall wurden die Waffen vielleicht auch alle irgendwo in einem einzelnen Raum gelagert. Aber trotzdem gab es noch eine weitere Frage. “Und … ich weiß nicht, ob ich dich das direkt fragen sollte, aber was genau seid ihr? Warum lebt ihr in dieser angeblichen Militäreinrichtung?”

Chtholly starrte Willem einen Moment entgeistert an. “Du bist hergekommen, ohne das zu wissen?” Sie zog die Augenbrauen hoch. “Und du hast mit den Kindern gespielt, ohne zu wissen, in welcher Situation sie sind? Gehörst du zu den Leuten, die erst handeln und dann denken?”

“Ah ...” Willem hatte darauf keine Erwiderung. Er wusste, dass er manchmal sehr irrational handelte.

“Na, wie auch immer. Es ist ja kein Geheimnis, also sag ich‘s dir. Die Antwort auf deine erste Frage, ist deine zweite Frage. Die Antwort auf deine zweite ist die erste Frage.”

“Was?” Ein Rätsel als Antwort. “Was soll das denn heißen?”

“Du solltest die Lösung eigentlich leicht finden. Es ist genau so,wie ich es gesagt habe. Wir sind die Waffen, von denen du geredet hast. ”

Ah. Es dauerte etwas, bis Willem die Bedeutung ihrer Worte verarbeitet hatte. Chtholly winkte Willem zum Abschied. “Nun, es war nett, dich kennenzulernen, Herr Aufseher.” Sie ging durch die Tür und schloss sie hinter sich.