Suzumiya Haruhi:Band4 Kapitel6

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Kapitel 6

Ratsch, Ratsch

Ein ratschendes Geräusch war zu hören.

Mein Bewusstsein entschloss sich dazu die endlose Leere ganz allmählich wieder zu verlassen und obwohl die Gedanken noch ungeordnet durch meinen Kopf flogen, nahm ich langsam wieder etwas wahr.

Vielleicht war es nur ein Traum. Und es schien soweit ich mich erinnern konnte ein interessanter Traum gewesen zu sein. Normalerweise kann man sich nach dem Aufwachen ungefähr fünf Minuten lang an einen Traum erinnern. Wenn man dann erstmal beim Zähneputzen ist, fangen die Details schon an zu verschwinden und spätestens beim Frühstück hat man alles vergessen. Am Ende bleibt nicht mehr übrig als der Eindruck: "Das war wirklich ein interessanter Traum." Ich hab so was schon öfters erlebt.

Und dann gab es Träume, die ich überhaupt nicht interessant fand und trotzdem hatten sich ihre Details kristallklar in mein Gedächtnis gebrannt, wo sie auch eine relativ lange Zeit blieben. Vermutlich waren das traumähnliche Erfahrungen, so wie in dieser Nacht, als Haruhi und ich in der geschlossenen Parallelwelt gefangen waren. Es war eine Erfahrung, die ich tatsächlich gemacht hatte, von mir aber unterbewusst als nicht existent abgestempelt wurde.

Das war das Erste an was ich dachte, als ich meine Augen öffnete.

Die Decke war weiß, also befand ich mich nicht in meinem Zimmer. Das orangefarbene Sonnenlicht tauchte die Wände, die genauso weiß waren wie die Decke, in ein Meer aus Farben. Ich wusste nicht, ob es morgens oder abends war.

"Oha."

Für jemanden der gerade wieder zu Bewusstsein kam, klang diese Stimme so angenehm wie die Kirchenglocken für einen treuen Gläubigen.

"Du bist endlich aufgewacht. Anscheinend hast du ziemlich gut geschlafen."

Ich drehte meinen Kopf, um zu sehen wem die Stimme gehörte. Er saß auf einem Stuhl neben meinem Bett und schälte mit einem Küchenmesser einen Apfel. Ratsch, Ratsch – die Haut des Apfels wurde sauber abgeschnitten und hing wie ein langer Faden nach unten.

"Ich würde ja gerne 'guten Morgen' sagen, aber die Sonne geht schon unter."

Koizumi Itsuki lächelte dabei warm.

Danach legte er die geschälten Äpfel auf das Tablett und stellte es auf den Tisch neben dem Bett. Er nahm einen weiteren Apfel aus einer Papiertasche und sagte lächelnd:

"Gott sei Dank bist du endlich wieder aufgewacht. Ich wusste schon gar nicht mehr was ich machen sollte. Ah ... du siehst etwas verwirrt aus. Erkennst du mich?"

"Das wollte ich dich gerade fragen. Weißt du wer ich bin?"

"Was für eine seltsame Frage. Natürlich weiß ich das."

Es war nicht schwer zu erkennen welcher Koizumi da vor mir saß, ich musste nur auf die Uniform schauen.

Er trug einen marineblauen Anzug, keine schwarze Schuluniform.

Es war die Uniform der North High.

Einer meiner Arme schaute unter der Decke hervor und war mit einem Beutel verbunden, in dem sich irgendeine Infusion befand. Während ich das Ding betrachtete fragte ich:

"Welchen Tag haben wir heute?"

Koizumi wirkte überrascht, zumindest nahm ich an, dass dieser Ausdruck bei ihm Überraschung zeigen sollte.

"Da du so was fragst, gehe ich mal davon aus, dass du weißt warum du hier gelandet bist. Aber nun zur Antwort, es ist nach fünf Uhr nachmittags am 21. Dezember."

"Der Einundzwanzigste, ja?"

"Ja, heute ist der dritte Tag seit du ins Koma gefallen bist."

Der dritte Tag? Koma?

"Wo bin ich gerade?"

"In einem Privatkrankenhaus."

Ich schaute mich um. Das Bett in dem ich geschlafen hatte befand sich in einem eindrucksvollen Ein-Bett-Zimmer. Wer hätte das gedacht, meine Familie musste sehr reich sein und ich wusste noch gar nichts davon.

"Der Freund meines Onkels ist der Leiter dieses Krankenhauses, deswegen wurdest du hier ausnahmsweise aufgenommen."

Anscheinend war meine Familie doch nicht so reich wie ich dachte.

"Durch das Einschreiten der 'Organisation' kannst du hier ohne weiteres und günstig für ein ganzes Jahr bleiben, aber ehrlich gesagt bin ich glücklich, dass du schon nach drei Tagen wieder aufgewacht bist. Nein, nein, es geht mir nicht um das Geld, nur haben meine Vorgesetzten mich für das was mit dir passiert ist regelrecht auseinander genommen, immerhin sollte ich ja auf dich Acht geben. Ich muss sogar extra einen Brief schreiben, um meine Reue auszudrücken."

Drei Tage vor dem 21sten war der 18te. Was hatte ich an diesem Tag gemacht? ... Ah, ich erinnere mich. Ich stand wegen des hohen Blutverlusts kurz vor dem Tod, deswegen haben sie mich also in das Krankenhaus gebracht ... Nein, Moment, da stimmte etwas nicht.

Ich tastete die Krankenhauskleidung die ich trug ängstlich ab und erreichte dann an die rechte Seite meines Unterleibs.

Ich fühlte nichts Ungewöhnliches. Normalerweise würde sich eine Wunde taub anfühlen, aber es kratzte nicht mal. Es war unmöglich sich in drei Tagen von so einer Verletzung zu erholen, es sei denn jemand hatte mich von Grund auf wieder zusammengeflickt.

"Wieso bin ich im Krankenhaus? Wegen des Komas?"

"Also hast du es vergessen. Nun, ich denke das ist verständlich, immerhin hast du einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen."

Ich bemerkte weder Verband noch Schutznetz, als ich meinen Kopf abtastete.

"Es ist erstaunlich, dass du keine äußerlichen Verletzungen oder inneren Blutungen davongetragen hast. Deine Hirnfunktionen waren auch ganz normal. Selbst der behandelnde Arzt ist verdutzt gewesen. Sie wussten nicht was mit dir los war."

"Aber", fuhr Koizumi fort:

"Wir haben gesehen, wie du die Treppe runtergefallen bist. Es sah so schrecklich aus, dass jedem von uns der Schrecken ins Gesicht geschrieben stand. Das Geräusch als du auf dem Boden aufgeschlagen bist war so laut, dass ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn du für immer das Bewusstsein verloren hättest. Möchtest du noch mehr wissen?"

"Schieß los."

Ich erfuhr von Koizumi, dass ich mich gerade auf der Treppe im Komplex mit den Clubräumen befand, als ich plötzlich kopfüber nach unten stürzte. Vielleicht war ich gestolpert oder etwas in der Art. Jedenfalls fiel ich mit einem lauten Knall auf meinen Kopf und rührte mich nicht mehr.

So wie Koizumi es beschrieb, klang es so als wäre es wirklich passiert.

"Das war damals ganz schön chaotisch. Wir mussten einen Krankenwagen rufen und dich ins Krankenhaus bringen. Suzumiya-sans Gesicht war total blass, es war das erste Mal, dass ich sie so gesehen habe. Oh, der Krankenwagen wurde übrigens von Nagato-san gerufen. Ihre Ruhe rettete dein Leben."

"Und wie verhielt sich Asahina-san?"

Koizumi zuckte mit seinen Achseln und sagte:

"Sie verhielt sich so wie man es erwarten würde. Sie klammerte sich an dich und schrie weinend deinen Namen."

"Welche Uhrzeit war es als das alles passiert ist?"

Ich überflutete Koizumi regelrecht mit meinen Fragen, denn letztendlich war es dieser 18te an dem die Welt drastisch verändert wurde und das machte mich nervös.

"Du hast selbst das vergessen? Es war mittags nachdem wir gerade unsere Besprechung beendet hatten. Wir wollten gerade etwas kaufen, als es passierte."

Etwas kaufen?

"Daran kannst du dich auch nicht erinnern? Kann es sein, dass du den Gedächtnisverlust nur vorspielst?"

"Egal, fahr bitte fort."

Koizumi lächelte wieder warm.

"Auf der Tagesordnung stand die Frage ... hm ... was wir zu Weihnachten unternehmen. Suzumiya-san erzählte von einer Party für kleine Kinder, die in der Nähe ihrer Wohnung stattfinden wird und beschloss, dass die SOS-Brigade einen Gastauftritt machen soll. Dabei hatte sie wohl Asahina-sans Weihnachtsmannkostüm im Hinterkopf, das bis jetzt noch nicht zum Einsatz gekommen ist. Asahina-san sollte sich deshalb als wunderschöne Weihnachtsfrau verkleiden und Geschenke an die Kinder verteilen. Eine fröhliche Veranstaltung ganz nach Suzumiya-sans Geschmack also."

Da haben wir es wieder: dieses Mädchen kann so was von rücksichtslos sein!

"Aber es wäre ja nicht realistisch nur eine Weihnachtsfrau zu haben, also beschloss Suzumiya-san, dass einer von uns sich als Rentier verkleiden und Asahina-san auf die Party tragen sollte. Am Ende mussten wir Lose ziehen … Wer denkst du war wohl der glückliche Gewinner? Erinnerst du dich jetzt?"

Nein, ich kann mich daran überhaupt nicht erinnern. Wenn sich jemand an etwas erinnern könnte, das in seinem Gedächtnis gar nicht existiert, dann wäre er ein gnadenloser Lügner. Er hätte dann gleich ins nächste Krankenhaus gehen und sein Gehirn untersuchen lassen können. Aber es brachte nichts Koizumi das zu erklären.

"Lass gut sein. Jedenfalls bist du der Glückliche gewesen. Und da wir ein Rentierkostüm für dich brauchten, mussten wir dafür etwas Material einkaufen. Wir waren gerade auf dem Weg das zu tun, als du die Treppe runtergestürzt bist."

"Das klingt für mich echt idiotisch."

Als er mich das sagen hörte, zog Koizumi seine Augenbrauen hoch.

"Da du hinter uns warst, haben wir nicht direkt gesehen wie du die Treppe runtergefallen bist, sondern es nur von der Seite mitbekommen. Es sah ungefähr so aus." Koizumi demonstrierte den Sturz, indem er einen Apfel von seiner rechten in die linke Hand fallen ließ. "Du bist im Prinzip Stufe für Stufe runtergerollt."

Koizumi fuhr damit fort den Apfel zu schälen.

"Wir sind schnell zu dir gerannt, doch du hattest schon das Bewusstsein verloren. Suzumiya-san sagte, sie hätte das Gefühl gehabt, dass jemand oben bei der Treppe gewesen ist. Sie sah das Kleid von jemandem um die Ecke verschwinden. Ich fand das seltsam und forschte deswegen etwas nach. Zu dieser Zeit befand sich außer uns niemand im Gebäude. Auch Nagato schüttelte ihren Kopf. Falls da wirklich jemand war, hat sie sich wie ein Geist in Luft aufgelöst. Wir haben nun die ganze Zeit darauf gewartet, dass du aufwachst, damit du uns erzählen kannst wer dich geschubst hat ..."

Ich konnte mich daran nicht erinnern. Das war zu diesem Zeitpunkt die beste Antwort, die ich mir vorstellen konnte. Es war nur ein normaler Unfall. Ich hatte nicht aufgepasst, das war einfach Pech. Ich denke, ich werde es dabei belassen.

"Bist nur du zu Besuch gekommen?"

Wo war Haruhi? Ich wollte das fragen, aber ich verkniff es mir letztendlich. Trotzdem kicherte Koizumi und sagte: "Du hast dich die ganze Zeit umgeschaut. Suchst du jemanden? Mach dir keine Gedanken, wir haben uns abgewechselt. Als du im Koma gelegen hast, war immer jemand an deiner Seite. Ich denke Asahina-san müsste gleich kommen."

Koizumis Blick verunsicherte mich. Es wirkte so als würde er gerade mit einem Freund reden, der seinen Aprilscherz tatsächlich ernst genommen hatte und nun nach Worten rang. Wollte er damit irgendwas andeuten?

"Oh, es ist wirklich nichts. Ich war nur neidisch. Man könnte sagen das war ein neidischer Blick."

Du bist auf jemanden neidisch, der auf den Kopf gefallen ist?

"Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass es nur die normalen Clubmitglieder waren, die sich beim Aufpassen abgewechselt haben. Die Kommandantin sieht es als Teil ihrer Pflicht an über die Sicherheit ihrer Mitglieder zu wachen."

Koizumi schälte elegant das letzte Stück der Haut vom Apfel, formte daraus ein kaninchenähnliches Gebilde und legte es dann auf das Tablett, das auf einem Tisch neben dem Bett stand.

"Suzumiya-san ist die ganze Zeit hier gewesen. Sie hat das Krankenhaus seit drei Tagen nicht verlassen."

Ich folgte Koizumis Finger und drehte mich zur anderen Seite des Betts.

"..."

Und da war sie.

Haruhi hatte ihren Schlafsack eng um sich geschlungen und schlief mit leicht geöffnetem Mund vor sich hin.

"Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht."

Er klang so traurig, ich hatte fast das Gefühle ich würde gerade eine Seifenoper sehen.

"Du hättest sehen sollen wie verzweifelt Suzumiya-san aussah ... Nein, heben wir uns das für später auf. Gibt es da nicht etwas, das du jetzt machen solltest?"

Warum will mich eigentlich jeder herumkommandieren? Asahina-san (groß) hatte es schon getan und nun machte es sogar Koizumi. Aber ich nahm ihnen das nicht übel. Und es interessierte mich auch nicht, ob die geschälten Äpfel eine Opfergabe an die Göttin gewesen waren.

"Ja", sagte ich.

Ich hatte wirklich Lust etwas auf ihr Gesicht zu malen. Vielleicht bei der nächsten Gelegenheit.

Ich setzte mich auf und streckte meinen Arm aus, um ihr verärgert wirkendes Gesicht zu berühren.

Ihr Haar war noch nicht lang genug, um daraus einen Pferdeschwanz zu flechten. Die Erinnerung an ihr langes Haar ließ mich nostalgisch werden, aber plötzlich, als wolle sie mich ärgern, fing ihr dunkles Haar an sich zu bewegen.


Haruhi war aufgewacht.


"... Umm ... hmm?“

Stöhnte Haruhi, als sie versuchte ihre Augen zu öffnen und als sie bemerkte, wer da gerade in ihre Wange piekste, rief sie:

"AH!?"

Sie versuchte aufzuspringen, aber scheiterte dabei kläglich, denn sie hatte nicht an den Reißverschluss des Schlafsacks gedacht, der immer noch verschlossen war. Nachdem sie eine Weile wie ein Regenwurm auf dem Boden herumgekrochen war, gelang es ihr sich endlich aus dem Schlafsack zu befreien, nur um dann fluchend auf mich zu zeigen.

"Verdammt Kyon! Konntest du mir nicht Bescheid sagen bevor du aufwachst? Auf so was muss ich mich erst seelisch vorbereiten!"

Da verlangst du das Unmögliche, aber egal, die schreiende und fluchende Haruhi war für mich wirkungsvoller als jede Medizin.

"Haruhi."

"Was?"

"Wisch dir den Sabber ab."

Haruhi verzog für einen Moment ihr Gesicht, wischte sich dann schnell ihren Mund ab und sagte danach mit einem finsteren Blick:

"Du hast aber wirklich nichts auf mein Gesicht gemalt, oder?"

Ich konnte es mir gerade noch verkneifen.

"Hmph. Hast du mir nichts zu sagen?"

Ich gab ihr die Antwort die sie erwartete.

"Tut mir leid, dass ich dir Sorgen bereitet habe."

"So ist es richtig. Gut, dass du die Verantwortung, die ich als Kommandantin trage, zu schätzen weißt. Es ist nämlich meine Pflicht mich um das Wohlergehen der Brigade-Mitglieder zu sorgen."

Haruhis Herumfluchen klang wie himmlischer Gesang. Genau in diesem Moment klopfte jemand leise an die Tür. Koizumi stand sofort auf und öffnete die Tür.

Als mich der dritte Besucher von draußen auf dem Flur sah, folgte:

"Ah, ahhh, aaahhhh ..."

Sie klang noch eine Weile so als wäre sie außer sich. Dort vor der Tür, mit einer Vase in der Hand, stand niemand anderes als das Schulmädchen aus dem zweiten Jahrgang der North High. Ihre langen Haare, ihr niedliches kindliches Gesicht und ihre schlanke aber doch gut gebaute Figur waren mir wohlbekannt.

"He ... Asahina-san, wie geht’s?"

Ich war nicht sicher ob ich "Lange nicht gesehen" sagen sollte, denn das galt ja nur für mich.

Schnief ...

Und schon fielen Asahina-sans Tränen.

"Gott sei Dank ... Oh ... Gott sei Dank ..."

Ich wollte sie wirklich wie damals umarmen und wer weiß, vielleicht dachte sie das gleiche, obwohl es eher so wirkte, als hätte sie vor lauter Weinen alles um sich herum vergessen, inklusive der Vase, die sie immer noch in ihren Händen hielt.

"Übertreibst du nicht etwas? Er hat sich nur den Kopf gestoßen und war eine Zeit bewusstlos. Ich wusste von Anfang an, dass Kyon nicht für alle Ewigkeit schlafen würde."

Als Haruhi das sagte, hatte ich fast das Gefühl ein wenig Dankbarkeit herauszuhören. Dann fuhr sie ohne mich anzuschauen fort:

Koizumi fing an zu kichern, Asahina-sans riesige Tränen fielen weiterhin unaufhörlich auf den Boden und Haruhi wandte immer noch ihr Gesicht ab. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre sie wütend.

"Ich hab es ja schon damals gesagt, die SOS-Brigade arbeitet ohne Pause 365 Tage im Jahr. Niemand darf sich eine Auszeit nehmen. Ich werde nicht akzeptieren, dass sich jemand wegen einer so dummen Ausrede wie sich den Kopf gestoßen haben und im Koma liegen krankschreiben lässt. Hast du das verstanden, Kyon? Drei Tage Abwesenheit werden dich einiges kosten. Dafür gibt es ein saftiges Bußgeld! Nicht nur ein einfaches Bußgeld, sondern auch noch eine Versäumnisgebühr oben drauf!"

Koizumi fing an zu kichern, Asahina-sans riesige Tränen fielen weiterhin unaufhörlich auf den Boden und Haruhi wandte immer noch ihr Gesicht ab. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre sie wütend.

Ich schaute zu ihnen, nickte kurz und zuckte dann mit meinen Achseln.

"Also gut, wie viel muss ich inklusive der Versäumnisgebühr bezahlen?"

Haruhi starrte mich an und zeigte dabei ein so strahlendes Lächeln, dass man kaum glauben konnte, dass sie eben noch wütend gewesen war. Sie hat wirklich ein sehr schlichtes Gemüt.

Letztendlich wurde beschlossen, dass ich drei Tage hintereinander für jeden die Rechnung im Cafe bezahlen sollte. Ich dachte schon darüber nach, ob ich meine gesparten Zeiteinlagen auflösen sollte, als ...

"Eines noch ..."

Noch mehr?

"Japp, das ist als Wiedergutmachung für das erlittene Trauma immer noch nicht genug. Ah ja, Kyon, du könntest dich auf unserer Weihnachtsfeier als Rentier verkleiden und ein paar spektakuläre Kunststücke aufführen. Du musst solange weitermachen bis jeder von uns lacht! Wenn es zu langweilig ist, werde ich dich in ein alternatives Universum treten! Natürlich musst du auf der Kinderfeier noch mal das Gleiche machen. Hast du verstanden!?"

Haruhi strahlte wie die Sonne, als sie mich mal wieder herumkommandierte.


Obwohl ich wieder bei Bewusstsein war, hieß das noch lange nicht, dass ich gleich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Zunächst kam der behandelnde Arzt und begutachtete mich ausführlich und danach kamen alle möglichen Maschinen an die Reihe; die ganzen Untersuchungen waren so aufwändig und nervig, dass ich am Ende fast das Gefühl hatte sie wollten mich in einen Cyborg verwandeln. Die Untersuchungen dauerten einen ganzen Tag an und als sie endlich abgeschlossen waren, blieb mir keine andere Wahl als die Nacht im Krankenhaus zu verbringen. Diese Nacht war für mich eigentlich die erste Nacht dort und da ich vorher noch nie in einem Krankenhaus übernachtet hatte, wollte ich diese Erfahrung zumindest etwas auskosten.

Haruhi, Koizumi und Asahina-san wollten gerade gehen, als meine Mutter und meine Schwester das Zimmer betraten. Haruhi wirkte sehr höflich als sie mit ihnen Sprach, ich hätte nicht gedacht, dass sie so zuvorkommend sein kann; das war wirklich eine Überraschung.

Während ich mit meiner Mutter und meiner Schwester redete, ging mir einiges durch den Kopf.

Was wäre gewesen, wenn niemand die Veränderung der Welt rückgängig gemacht hätte? Nagato, Koizumi und Asahina-san würden nur ganz normale Menschen ohne irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten sein. Nagato wäre ein stiller Bücherwurm vom Literaturclub, Asahina-san wäre eine unerreichbare Schönheit eines höheren Jahrgangs und Koizumi wäre ein normaler, aus einer anderen Schule stammender Schüler.

Und Haruhi würde nur eine exzentrische High-School-Schülerin sein.

Auch mit dieser Besetzung wäre eine interessante Geschichte denkbar. Natürlich müsste man sich keine Gedanken mehr über die Wahrheit hinter allem machen müssen und es gäbe auch keinen Grund mehr sich Sorgen wegen irgendwelcher Veränderungen zu machen. Es wäre nur eine ganz normale Geschichte ohne Bezug zu dieser gestörten Welt.

In dieser Geschichte würde ich wohl keine Rolle mehr spielen. Ich wäre ein ganz normaler Schüler, der nach einer friedlichen Schulzeit ohne besondere Vorfälle den Abschluss machen würde.

Welche Welt gefällt mir wohl besser?

Die Antwort ist denke ich klar.

Ich bin mit "dieser Welt" absolut zufrieden, sonst hätte ich wohl kaum mein Leben riskiert, um die Veränderungen rückgängig zu machen.

Wie würdet ihr euch entscheiden? Welche Welt würdet ihr wählen? Ich bin mir sicher, dass die Antwort ziemlich offensichtlich ist oder bin ich der Einzige, der so denkt?


Nachdem meine Familie nach Hause gegangen war und die Lampen im Krankenzimmer ausgemacht wurden, hatte ich nichts Besseres zu tun als an die Decke zu starren. Also schloss ich meine Augen.

Die letzten drei Tage, zumindest in dieser Welt, hatte ich die ganze Zeit geschlafen; wurde mir gesagt.

Das bedeutete also ...

Die Welt musste sich wieder verändert haben.

Es gab zwei Veränderungen. Zunächst durch Nagato und dann wurde die Welt wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzt. Aber wer war es, der die Welt ein zweites Mal umgestaltet hatte?

Haruhi konnte es nicht gewesen sein. Während der drei Tage hatte sie diese Kräfte nicht und die Haruhi aus dieser Welt wusste nichts von den Veränderungen.

Wer war es dann?

Mir fiel nur eine Person ein, die in der Lage sein würde eine Klinge mit der bloßen Hand aufzuhalten.

Und das war Nagato.

Außerdem hatte ich bevor ich ohnmächtig wurde zwei Asahina-sans gesehen. Die zweite war nicht die erwachsene Asahina-san, sondern mein Senpai, also die mir wohlbekannte süße Schülerin aus dem höheren Jahrgang.

Und da war noch jemand anderes. Ich hörte kurz vor dem Ende eine geheimnisvolle Stimme, die etwas zu mir sagte und ich wusste, dass ich diese Stimme schon mal irgendwo gehört hatte.

Eigentlich brauchte ich gar nicht darüber nachzudenken von wem die Stimme stammte, denn es war offensichtlich.

Es war meine eigene Stimme.

"Verstehe, so ist das also gewesen."

Das bedeutet ...

Ich müsste in diese Zeitebene noch mal zurückkehren. Und zwar am frühen Morgen des 18. Dezembers und ich müsste die Asahina-san und Nagato aus dieser Zeitebene mitnehmen.

Nur dann könnte die Welt wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden.

Asahina-san wäre dafür zuständig Nagato und mich in jene Zeitebene zu bringen, während Nagato die Aufgabe hätte ihr anderes Ich, das außer Kontrolle geraten war, zu "reparieren". Mir war nur nicht ganz klar, ob sie dazu Haruhis Kräfte benutzen würde oder die der empfindungsfähigen Datenintegrations-Entität.

Ich spielte bei der Sache auch eine Rolle.

Hätte ich damals nicht meine eigene Stimme gehört, wäre ich heute nicht hier. Ich musste also noch mal zurückgehen und das wiederholen, was ich damals gehört hatte. Was war es noch gleich gewesen?

"Tut mir ja leid, aber ich hab meine Gründe warum ich dir nicht sofort helfen kann, also hasse mich nicht dafür. Immerhin war es für mich genauso schmerzhaft. Wie auch immer, wir wissen was getan werden muss und kümmern uns um den Rest. Ach ja, du wirst später auch wissen was du zu tun hast. Also versuch jetzt zu schlafen."

Ich wiederholte diese Sätze und versuchte sie mir zu merken. Das war es was ich gesagt hatte, wenn ich mich nicht irrte. Ich konnte zwar nicht garantieren, dass es Wort für Wort übereinstimmte, aber die Bedeutung sollte richtig sein.

Es war also meine Aufgabe anstelle meines anderen Ichs, das vom Messer getroffen wurde, die Nadelpistole zu benutzen.

Und mir wurde auch klar, weshalb ich mein anderes Ich nicht davor bewahren konnte vom Messer getroffen zu werden. Die Stimme meines zukünftigen Ichs klang damals so, als wäre ich in aller Ruhe zum Ort des Geschehens gegangen. Ich musste mich irgendwo in der Nähe versteckt haben und auch Asahina-san und Nagato kamen genau zum richtigen Zeitpunkt aus ihrem Versteck. Es durfte weder zu früh noch zu spät sein. Ich musste so lange warten, bis mich Asakura mit dem Messer gestochen hatte. Und warum das? Weil mein vergangenes Ich alles was da passierte schon erlebt hatte. Mit Asahina-sans Worten:

"Es war ein vorherbestimmtes Ereignis."


Es war schon mitten in der Nacht, aber ich hatte noch immer keine Lust zu schlafen.

Ich wartete. Auf was ich wartete, fragt ihr? Natürlich wartete ich auf die einzige, die mich bis jetzt noch nicht besuchte hatte. Es wäre absurd, wenn sie nicht auftauchen würde.

Also lag ich im Bett und starrte die ganze Zeit an die Decke. Erst spät in der Nacht, als die Besuchszeiten längst vorbei waren, wurde meine Geduld belohnt.

Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich langsam und das Licht des Flures offenbarte den Schatten einer kleinen Gestalt.

Dort stand meine letzte Besucherin, Nagato Yuki.

Sie sagte wie immer ohne jedes Anzeichen von Emotion:

"Ich bin für das was passiert ist verantwortlich."

Als ich ihre ruhige Stimme hörte, wurde ich aus irgendeinem Grund nostalgisch.

"Meine Bestrafung wird im Moment beschlossen."

Ich hob meinen Kopf und fragte:

"Von wem?"

"Von der empfindungsfähigen Datenintegrations-Entität."

Sagte Nagato ruhig, als würde es nicht sie, sondern jemand anderen betreffen.

Natürlich wusste Nagato schon lange vorher, was sie am Morgen des 18. Dezembers für ein Chaos anrichten würde, denn vor drei Jahren hatten die erwachsene Asahina-san und ich sie ja besucht. Sie wusste es von Anfang an und hatte die ganze Zeit versucht es irgendwie zu verhindern. Doch sie konnte nichts tun. Manchmal ist es eben so, dass man obwohl man weiß was passieren wird, nichts dagegen machen kann. Nein, es wäre möglich gewesen etwas zu tun …

Mit fiel plötzlich ein, dass sich Nagatos Verhalten und Angewohnheiten nach dem Sommer leicht verändert hatten.

"Aber", unterbrach ich sie, "wenn du schon vor drei Jahren gewusst hattest, dass du dich so verhalten würdest, hättest du mir doch jederzeit davon erzählen können, oder nicht? Vor dem Schulfest zum Beispiel oder vor dem Baseball-Turnier. Dann hätte ich am 18. Dezember viel früher etwas machen können und es hätte gereicht, wenn wir alle drei Jahre in die Vergangenheit gereist wären."

Nagatos Gesichtsausdruck strahlte eine eisige Kälte aus, es war absolut kein Lächeln zu sehen.

"Hätte ich dir vorher davon erzählt, hätte mein außer Kontrolle geratenes Ich trotzdem deine Erinnerungen löschen und danach die Welt verändern können. Außerdem konnte niemand garantieren, dass etwas das noch nicht passiert ist jemals passieren wird. Mehr als am 18. Dezember deinen Originalzustand zu erhalten konnte ich nicht tun."

"Vergiss nicht das Flucht-Programm, das du für mich zurückgelassen hast. Das war schon mehr als genug!"

Ich wurde langsam wütend, als ich ihr dankte. Nicht auf sie und auch nicht auf mich, aber trotzdem wurde ich irgendwie wütend.

Das Echo ihrer ausdruckslosen Stimme war im Krankenzimmer zu hören, als Nagato sagte:

"Ich kann nicht garantieren, dass ich in Zukunft nicht noch mal außer Kontrolle geraten werde. Solange ich weiter existiere, werden sich die internen Fehler weiter ansammeln. Das ist eine sehr gefährliche Situation."

"UNSINN! Gib diese Nachricht für mich weiter."

Als mich Nagato fluchen hörte, bewegte sie ihren Kopf leicht zurück und blinzelte sogar.

Ich griff ihren kleinen, weißen Arm. Nagato widersetzte sich nicht.

"Ich hab was für deinen Boss, also hör genau zu. Sollte er jemals daran denken dich verschwinden zu lassen, dann wird hier die Hölle ausbrechen. Ich werde dich zurückholen, egal was ich dafür machen muss. Ich mag zwar keine besonderen Kräfte haben, aber ich bin sehr gut darin Haruhi zu provozieren."

Ich hatte tatsächlich eine Trumpfkarte, um Haruhi zu provozieren. Es würde reichen ihr folgendes zu sagen: "Ich bin John Smith."

So sieht es aus. Meine Kräfte sind die eines nutzlosen Faulenzers, aber Haruhi besitzt dafür enorme Kräfte. Würde Nagato verschwinden, könnte ich Haruhi einfach alles erzählen, bis sie es glaubt. Dann würden wir unsere Reise zur Rettung Nagatos beginnen. Selbst wenn ihr Boss sie versteckt oder ausgelöscht hätte, würde Haruhi einen Weg finden das rückgängig zu machen und wenn nicht werde ich ihr einen Weg zeigen. Und wer weiß, vielleicht würden uns sogar Koizumi und Asahina-san helfen. Und wen interessiert irgendeine Daten-Entität in einer unbekannten Ecke des Universums? Welchen Unterschied würde es machen ob das Ding existiert oder nicht?

Nagato war unsere Freundin. Würde jemand von der SOS-Brigade nicht mehr da sein, könnte Haruhi das unmöglich ignorieren. Und nicht nur bei Nagato, auch bei Koizumi, Asahina-san oder mir würde das Mädchen nicht so schnell aufgeben, selbst wenn wir freiwillig gegangen wären. Sie würde alle Hebel in Gang setzen, um uns zurückzubringen. So ist nun mal Haruhi, die aufdringliche, ichbezogene, rücksichtslose und nur Probleme verursachende Königin der SOS-Brigade.

Ich starrte Nagato wütend an.

"Wenn dein Boss auf irgendeine dumme Idee kommt, dann verbünde ich mich mit Haruhi und sorge dafür, dass die ganze Welt verwandelt wird. Wir werden eine Welt wie vor drei Tagen erschaffen, in der du existierst, aber keine empfindungsfähige Datenintegrations-Entität. Ich bin mir sicher, dass sie sehr enttäuscht wäre, wenn so was passieren würde. Observationsziel? Scheiß auf Observation!"

Während ich sprach, nahm meine Wut immer weiter zu.

Ich wusste nicht wie empfindungsfähig die Datenintegrations-Entität war, aber ich ging davon aus, dass sie ziemlich intelligent sein muss. Sie war vermutlich eine von denen, die in der Lage sind in zwei Sekunden Pi bis auf die hundert millionste Nachkommastelle zu berechnen und ähnliche Tricks für Fortgeschrittene beherrschen.

Sicherlich wäre es für sie ein Kinderspiel gewesen Nagato eine menschenähnlichere Persönlichkeit zu geben. Bevor sie sich in eine irre Mörderin verwandelt hatte, war Asakura in der Klasse ziemlich beliebt, um nicht zu sagen offenherzig und freundlich. Sie hatte in den Ferien sogar einige ihrer Klassenkameraden eingeladen mit ihr einkaufen zu gehen. Wenn die Datenintegrations-Entität jemanden wie Asakura erschaffen konnte, wieso hatte sie dann aus Nagato nur eine einsame, kleine Schülerin gemacht, die ganz alleine im Literaturclub Bücher liest? Dachte sie Nagato hätte sonst nicht Haruhis Aufmerksamkeit geweckt, wenn Nagatos Persönlichkeit nicht zu einem Literaturclub gepasst hätte? Wer hatte so was entschieden?

Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich Nagatos Hand heftig drückte, aber das bücherliebende humanoide interaktive Interface nahm mir das nicht übel.

Sie schaute mich einfach nur an und nickte.

"Ich werde die Nachricht übermitteln."

Dann fügte sie mit leiser Stimm hinzu:

"Danke."



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