Suzumiya Haruhi:Band3 Rhapsodie der Bambusblaetter
Rhapsodie der Bambusblätter
Obwohl der Mai schon heiß genug war, wurde er von der erdrückenden Hitze des Julis noch bei weitem übertroffen und so schoss meine Unbehaglichkeitsschwelle auf Rekordhöhe. Natürlich konnte man nicht erwarten, dass es in unserem billigen High-School-Gebäude so eine hochwertige Ausstattung wie eine Klimaanlage geben würde und deswegen war es im Klassenraum der 1-5 so brütend heiß, dass man dachte man würde im Warteraum für den Bus zur Hölle sitzen. Ich frage mich, ob der Architekt schon mal was vom Konzept des "angenehmen Lebensraumes" gehört hat.
Wäre das nicht schon schlimm genug, war diese Woche auch die erste Woche des Julis, in der die Semesterprüfungen stattfanden, also entschloss sich meine Fröhlichkeit irgendwo in Brasilien zu verweilen und hatte nicht vor zurückzukehren.
Die Noten der Prüfungen in der Mitte des Semesters waren schon katastrophal, ich wollte mir gar nicht vorstellen wie erst die der Semesterprüfungen aussehen würden. Grund für die schlechten Noten war natürlich, dass ich viel zu viel Zeit mit der SOS-Brigade verbracht hatte und mich deswegen nicht auf meine Schulaufgaben konzentrieren konnte. Normalerweise hätte ich mich niemals von etwas so einnehmen lassen, aber seit diesem Frühling blieb mir keine andere Wahl als Haruhi wann immer sie mal wieder eine ihrer Ideen hatte zu folgen. Das war schon längst Teil meines Alltages geworden und ich fing an mich dafür zu hassen, mich an dieses Leben schon gewöhnt zu haben.
Als die letzte Schulstunde gerade in vollem Gange war und die Sonnenstrahlen schon vom Westen her in den Klassenraum fielen, stieß mich das Mädchen hinter mir mit einem Druckbleistift an.
"Weiß du welchen Tag wir heute haben?"
Fragte mich Suzumiya Haruhi mit dem entzückten Ausdruck eines Kindes an Heiligabend. Immer wenn sie so schaute, war das ein untrügerisches Zeichen dafür, dass sie etwas Bösartiges plante. Ich tat so als würde ich drei Sekunden nachdenken und sagte dann:
"Dein Geburtstag?"
"Nein!"
"Asahina-sans Geburtstag?"
"Nei-ein!"
"Der von Koizumi oder Nagato?"
"Woher soll ich wissen wann sie Geburtstag haben?"
"Also wenn du mich fragst, mein Geburtstag ist ..."
"Vergiss es. Du weißt wirklich nicht welcher wichtige Tag heute ist?"
Selbst wenn du wichtig sagst, für mich ist es nur ein sehr heißer, normaler Tag.
"Dann sag mir mal welches Datum wir heute haben."
"7. Juli ... He, sag nicht, dass du das Tanabata-Fest meinst."
"Natürlich meine ich das Tanabata-Fest, Tanabata! Das sagt einen doch schon der gesunde Menschenverstand, zumindest wenn man aus Japan kommt."
Dieses Fest stammte eigentlich aus China und sollte nach dem Lunisolarkalender erst im nächsten Monat stattfinden.
Während sie mit ihrem Druckbleistift vor meinen Augen herumwirbelte sagte Haruhi:
"Asien reicht vom Roten Meer bis hierher."
Was für eine Logik war das?
"Die ganzen Länder spielen bei der Weltmeisterschaftsqualifikation alle in einer Gruppe, oder nicht? Außerdem ist es egal ob wir Juli oder August haben. Beides sind Sommermonate."
Ja, genau.
"Wie auch immer, wir müssen das Tanabata-Fest feiern. Ich lasse mir so was doch nicht entgehen."
Neben deiner Idee gibt es noch ein paar andere Dinge, die wir uns nicht entgehen lassen sollten. Und überhaupt, wieso erzählst du mir das? Ich hab mit deinen Plänen nichts zu tun.
"Es macht mehr Spaß, wenn wir alle zusammen feiern. Ich hab beschlossen, dass wir von nun an jedes Jahr etwas Großes an Tanabata veranstalten."
"Entscheide das nicht alleine."
Obwohl ich das gesagt hatte, erkannte ich schon an ihrem außergewöhnlich begeisterten Gesichtsausdruck, dass es dumm und vergebens war zu versuchen sie davon abzuhalten.
Kaum hatte die Glocke das Ende der Stunde eingeläutet, stürmte sie aus dem Klassenzimmer und rief: "Warte im Clubzimmer auf mich! Du darfst nicht nach Hause gehen!"
Das musst du mir nicht sagen, denn ich wollte sowieso zum Clubraum gehen, denn dort ist eine bestimmte Person, die ich mindestens einmal pro Tag sehen muss – aber nur diese Person.
Die anderen Mitglieder hatten sich schon im Clubzimmer versammelt, das sich auf dem zweiten Flur des Kunstflügels befand. Es wäre wohl besser den Raum nicht "vom Literaturclub gemietetes Clubzimmer der SOS-Brigade" zu nennen, sondern eher "gewaltsam besetztes Hauptquartier der Brigade".
"Oh, Hallo."
Diejenige, die lächelte und mich fröhlich grüsste war Asahina-san. Sie ist die Quelle meines Glückes, ohne sie würde die SOS-Brigade bedeutungslos sein, so wie Curry-Reis ohne Curry-Würfel.
Seit Juli trug Asahina-san ein Sommer-Dienstmädchenkostüm. Die Kostüme wurden von Haruhi gekauft und ich hatte absolut keine Ahnung woher sie diese bunten Kleider bekam. Asahina-san war das wohl egal, sie bedankte sich nur immer angespannt mit: "Ah … v … vielen Dank." Heute spielte sie mal wieder das Dienstmädchen und kochte sorgfältig Tee für mich. Ich schlürfte meinen Tee und schaute mich im Raum um.
"He, wie läuft's?"
Koizumi schaute auf und grüsste mich. Er saß vor einem Schachbrett, das auf dem Tisch lag und hielt ein Schachbuch in einer Hand, während er mit der anderen die Schachfiguren bewegte.
"Auf jeden Fall nicht mehr normal seit ich auf der High School bin."
Koizumi sagte letzte Woche, dass er auf Othello keine Lust mehr hatte und brachte deswegen das Schachbrett mit. Da aber weder ich noch jemand anderes wussten wie man Schach spielt, musste er immer alleine spielen. Er wirkte dabei trotz der anstehenden Prüfungen ziemlich entspannt.
"So entspannt bin ich nun auch wieder nicht. Ich nutze nur die Zeit wenn ich nicht lerne, um mein Gehirn zu trainieren. Bei jedem gelösten Problem erhöht sich die Blutzirkulation im Kopf. Wie wäre es mit einem Spiel?"
Nein Danke, mir ist im Moment nicht danach mein ausgelaugtes Gehirn zu trainieren. Wenn ich an noch mehr seltsamen Kram denke, werden alle englischen Wörter, die ich mir mühsam gemerkt habe, von meinem Gehirn wieder abgestoßen.
"Das ist schade. Soll ich das nächste Mal vielleicht Monopoly oder Schiffeversenken mitbringen? Oder wie wäre es mit etwas bei dem alle mitspielen können? Was denkst du?"
Was weiß ich. Das hier ist nicht der Brettspielclub, sondern die SOS-Brigade. Ich frage mich übrigens immer noch in was für Aktivitäten die SOS-Brigade involviert ist. Ich war mir nicht sicher was dieser mysteriöse Club für einen Zweck hatte. Eigentlich wollte ich es aber auch nicht wissen, denn das erhöhte die Chance das alles zu überleben. Deshalb ging meine Motivation etwas zu tun gegen null, das ist meine perfekte Logik.
Koizumi zuckte mit den Achseln und konzentrierte sich wieder auf sein Schachbuch. Er nahm den schwarzen Springer und zog ihn über das Brett.
Neben Koizumi saß Nagato Yuki, die so wirkte als würde sie weniger Emotionen als ein Roboter besitzen und las aufmerksam ein Buch. Die stille und kühle Außerirdische hatte von übersetzten Romanen zu ausländischen Romanen gewechselt. Im Moment las sie ein Buch, auf dessen Cover Buchstaben in einer Sprache standen, die ich nicht entziffern konnte; es sah so aus als wäre es eines dieser alten, dicken Zauberbücher. Ich nahm an, dass es in Etruskisch oder einer anderen seltsamen Sprache geschrieben war. Ich bin mir sicher, dass Nagato ohne Probleme diese Steintafeln in Linearschrift A lesen könnte.
Ich nahm einen der Klappstühle und setzte mich drauf. Asahina-san stellte sofort eine Tasse auf den Tisch. Wer will an einem heißen Tag heißen Tee trinken ... Aber ich habe nicht die Absicht den Zorn des Himmels heraufzubeschwören und trank den Tee deshalb mit einem Gefühl von Dankbarkeit. Hm, er ist kochend heiß.
In der Ecke vom Zimmer stand ein Ventilator, den Haruhi von irgendwo geklaut hatte, aber seine Kühlwirkung war ungefähr so als würde man heißes Wasser auf einen glühend heißen Stein gießen. Wenn du schon klaust, dann klau doch einen der Deckenventilatoren aus dem Lehrerzimmer.
Ich wandte mich vom Englischbuch ab, dessen Seiten im Wind flatterten, lehnte meinen Rücken an den Klappstuhl und streckte mich.
Mir war klar, dass ich zuhause nicht lernen würde, also wollte ich mal sehen, ob ich es im Clubraum schaffen würde, aber ich erkannte schnell, dass es egal war wo ich mich befand, solange mich das was ich lernen musste nicht interessierte. Es würde physisch und psychisch nicht gut sein sich zum Lernen zu zwingen. Mit anderen Worten, es wäre nicht gesund. So ist es, ich werde nicht lernen. Ich wirbelte meinen Druckbleistift herum, schloss das Buch und schaute lieber meinem seelischen Stabilisator zu. Dieser Stabilisator, der mein zynisches Herz zur Ruhe bringen konnte, saß gerade, in ein Dienstmädchenkostüm gekleidet, vor mir und arbeitete an ihren Matheaufgaben.
Sie schaute sich eifrig die Fragen an und kritzelte dann etwas in das Notizheft; sie schaute ungezwungen während sie dachte, nur um dann plötzlich wie verrückt zu schreiben, als hätte sie etwas inspiriert – es war niemand Geringeres als Asahina-san, die das mehrmals wiederholte.
Schon beim Zuschauen fühlte ich mich viel entspannter und mir wurde so warm ums Herz, dass ich ohne zu zögern mein ganzes Geld, abgesehen von meinem Taschengeld, in eine Spendendose geworfen hätte. Asahina-san bemerkte nicht dass ich sie anstarrte, da sie sich auf ihre Matheaufgaben konzentrierte. Jede Handlung von ihr ließ mich lächeln, eigentlich lächelte ich schon die ganze Zeit. Ich fühlte mich so als würde ich gerade einem Babyseehund zuschauen.
Unsere Blicke trafen sich.
"Ah, w ... was ist los? H ... hab ich etwas Komisches gemacht?"
Asahina-san versuchte verzweifelt ihre Kleidung sauberzumachen, was mein Herz nur noch mehr zum Schmelzen brachte. Gerade als ich ein himmlisches Loblieb anstimmen wollte ...
"Hal-lo!"
Die Tür wurde gewaltsam geöffnet und das rabiate Mädchen stolzierte in den Raum.
"Sorry, Sorry, ich bin spät dran."
Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, niemand hat dich vermisst.
Bei ihrem bühnenreifen Auftritt trug Haruhi einen Bambussprössling auf ihrer Schulter. Aus dem langen Stück eines frischen Bambusstabes wuchsen unzählige grüne Blätter. Warum bringst du so was hierher? Um daraus eine Spardose zu machen?
Haruhi plusterte ihre Backen auf und antwortete:
"Warum wohl? Natürlich um daran Wünsche aufzuhängen."
Warum? Was zum Teufel?
"Ach, es ist schon so lange her, seit ich mal Wünsche an einem Bambusstab aufgehängt habe, also hab ich beschlossen, dass wir es heute mal machen. Immerhin haben wir Tanabata!"
... es macht wie erwartet keinen Sinn.
"Und woher hast du den Stab her?"
"Aus dem Bambuswald hinter der Schule."
Wenn ich mich nicht irre, ist das ein Privatgrundstück, du Bambusdiebin.
"Das ist doch egal. Die Wurzeln wachsen unter der Erde, es macht dem Sprössling nichts, selbst wenn man die obere Hälfte abschneidet. Nur wenn ich den ganzen Sprössling mitgenommen hätte, wäre es ein Verbrechen gewesen. Aber mich haben ein paar Mücken gestochen, das juckt vielleicht. Mikuru-chan, kannst du meinen Rücken mit Anti-Juck-Salbe einreiben?"
"Ja, sofort!"
Asahina-san ging in kleinen Schritten zu Haruhi und hatte einen Erste-Hilfe-Kasten bei sich. Sie wirkte fast wie eine Krankenschwester in der Ausbildung. Nachdem sie Haruhi erreicht hatte, nahm sie die Salbe aus dem Kasten und steckte ihre Hand unter Haruhis Matrosenuniform. Haruhi lehnte sich nach vorne und sagte:
"Ein bissen nach rechts ... nein, zu weit. Ja, genau dort."
Sie wirkte dabei wie ein Kätzchen, dem man gerade unter dem Kinn streichelte, und blinzelte entspannt. Danach stellte sie den Bambussprössling ans Fenster, stieg auf den Tisch der Kommandantin und holte fröhlich lächelnd ein paar Tanzakus aus der Tasche.
"Lasst uns jetzt unsere Wünsche aufschreiben!"
Nagato hob langsam ihren Kopf, Koizumi lächelte vorsichtig und Asahina-san starrte Haruhi mit großen Augen an. Was hatte sie diesmal vor? Haruhi sprang vom Tisch, ihr Rock flatterte durch den Windzug, und sagte:
"Aber es gibt Bedingungen."
"Was für Bedingungen?"
"Kyon, weißt du wer am Tanabata die Wünsche erfüllt?"
"Sind das nicht Orihime und Hikoboshi?"
"Stimmt, das macht zehn Punkte. Und weißt du welche Sterne für Orihime und Hikoboshi stehen?"
"Nein."
Antwortete Koizumi schnell.
"Das ist richtig! 85 Punkte! Diese beiden Sterne sind es! Auf diese Sterne müsst ihr die Bambusstäbe mit den Tanzakus richten. Verstanden?"
Was willst du uns damit sagen? Und wo sind die restlichen 15 Punkte geblieben?
Hehe Haruhis gerissenes Gelächter machte keinen Sinn.
"Lasst es mich erklären. Nach der speziellen Relativitätstheorie ist es unmöglich mit Lichtgeschwindigkeit zu reisen."
Gibt es einen Grund weshalb du uns das plötzlich erzählst? Haruhi nahm einen Zettel aus der Tasche ihres Rocks und sagte während sie ihn las:
"Nur damit du es weißt, von der Erde sind es 25 bzw. 16 Lichtjahre zu Wega und Altair. Das bedeutet eine Nachricht von der Erde braucht 25 bzw. 16 Jahre, um die Sternen zu erreichen. Das sind Fakten – hast du verstanden?"
Ja und? Wieso hast du dir überhaupt die Mühe gemacht das herauszufinden?
"Solange würde es also auch dauern bis einer der Götter unseren Wunsch erhalten hat, nicht wahr? Wir müssen also solange auf die Erfüllung der Wünsche warten. Deswegen müsst ihr das aufschreiben, was ihr in 25 oder 16 Jahren erfüllt haben wollt! Wünsche wie 'Ich möchte nächste Weihnachten endlich einen Freund finden' werden nicht funktionieren, weil sie nicht rechtzeitig in Erfüllung gehen!"
Haruhi wirbelte mit ihren Armen wild herum und fuhr dann mit ihren Erklärungen fort.
"Moment, wenn es 25 Jahre dauert bis der Wunsch den Stern erreicht hat, müsste er doch genauso lange brauchen, um wieder zurückzukehren. Heißt das nicht, dass wir 50 bzw. 32 Jahre warten müssen, bis die Wünsche in Erfüllung gehen?"
"Sie sind immerhin Götter. Natürlich werden sie sich etwas einfallen lassen, um uns zu helfen. Jedes Jahr gibt es einen 50% Rabatt!"
Wann immer es ihr gerade passte ignoriert sie die physikalischen Gesetze oder ich sollte lieber sagen wirft sie gleich zum Fenster raus.
"Hat jetzt jeder verstanden was ich meine? Ich hab hier zwei Arten von Tanzakus, einen für Wega und einen für Altair. Schreibt auf sie bitte was ihr euch in 25 bzw. 16 Jahren wünscht."
Das ist absolut lächerlich und es ist ganz schön dreist, sich gleich zwei Wünsche auf einmal zu wünschen. Außerdem können wir gar nicht wissen, was wir in 25 oder 16 Jahren machen werden. Woher sollen wir wissen, was wir uns zu der Zeit wünschen? Höchstens, dass die Rente gesichert ist und die Aktien immer gut laufen, denke ich mal.
Wenn Orihime und Hikoboshi solche Wünsche hören würden, bekämen sie sicherlich Kopfschmerzen. Sie können sich nur einmal pro Jahr treffen und dann müssen sie sich auch noch solche dummen Wünsche anhören. Warum fragst du nicht einfach deine Politiker?, würde ich sicherlich sagen, wenn ich an ihrer Stelle wäre.
Wie auch immer, dieses Mädchen dachte sich wie gehabt irgendeinen Unsinn aus. Ich frage mich, ob sich in ihrem Kopf ein weißes Loch befindet, denn anscheinend kommt ihr Verstand aus einem anderen Universum.
"Nun, das stimmt nicht ganz."
Koizumi klang so als wollte er Haruhi verteidigen, aber er sagte es so leise, dass nur ich es hören konnte.
"Es stimmt, dass Haruhis Vorträge und ihr Verhalten sehr ungewöhnlich sind, aber von der gegenwärtigen Situation ausgegangen, ist es offensichtlich, dass sie gesunden Menschenverstand besitzt."
Koizumi zeigte wieder sein übliches fröhliches Lächeln und fuhr fort:
"Wären ihre Gedankenmuster abnormal, dann würde diese Welt nicht so stabil sein. Stattdessen hätten wir es mit einer seltsamen Welt voller eigenartiger Regeln zu tun."
"Woher willst du das wissen?", fragte ich.
"Suzumiya-san wünscht sich, dass die Welt sich ein wenig verändert und sie besitzt die Macht die Welt von Grund auf neu zu erschaffen. Das solltest du wissen."
Natürlich wusste ich das, obwohl ich schon manchmal meine Zweifel hatte.
"Trotzdem hat sich die Welt bis jetzt noch nicht ins Absurde verändert, denn Suzumiya-sans gesunder Menschenverstand steht über ihren Wünschen."
"Das mag ein wenig kindisch klingen, aber ...", Koizumi hob seinen Kopf und sagte:
"Stellen wir uns beispielsweise vor, dass sie sich wünschen würde, dass der Weihnachtsmann existiert. Es ist allgemein bekannt, dass der Weihnachtsmann nicht existiert. Schon alleine in Japan wäre es unmöglich in ein verschlossenes Haus mitten in der Nacht einzudringen, dort ein Geschenk zurückzulassen und von niemand entdeckt zu werden. Woher weiß der Weihnachtsmann was jedes Kind sich wünscht? Und wie will er es schaffen innerhalb von einer Nacht im Haus jedes Kindes ein Geschenk abzuliefern? Das ist physikalisch unmöglich."
Jemand der das ernsthaft in Erwägung ziehen würde hätte einen an der Klatsche.
"Genau und deswegen kann der Weihnachtsmann nicht existieren."
Es nervte mich, dass er auf Haruhis Seite stand und deswegen wandte ich ein:
"Wenn du Recht hast, dürfte es doch eigentlich auch keine Außerirdischen, Zeitreisenden oder Esper geben. Wieso bist du dann hier?"
"Deswegen denke ich ja, dass Suzumiya-san mit ihrem gesunden Menschenverstand nicht zufrieden ist. Ihr Verstand hat ein ums andere Mal ihren Wunsch abgelehnt – und der ist, dass übernatürliche Ereignisse die Regel sind."
Heißt das also, dass ihre wilden Gedanken gegenüber ihrem Verstand doch einen kleinen Vorsprung haben?
"Vielleicht war sie nicht in der Lage diese Gedanken zu unterdrücken und deswegen tauchten Asahina-san, Nagato-san und ich an ihrer Seite auf und ich erhielt übernatürliche Kräfte. Oder siehst du das anders?"
Ich wollte mir darüber keine Gedanken machen. Zumindest bin ich nicht so wie du, ich weiß ganz genau, dass ich ein normaler Mensch bin.
Aber ich weiß nicht ob das ein Fluch oder Segen ist.
"He, ihr beiden! Keine Privatgespräche! Ich rede hier gerade über etwas Wichtiges!"
Haruhis Augen wurden zu Dreiecken, als sie uns anstarrte und anschrie, offenbar gefiel es ihr nicht, dass wir heimlich flüsterten. Also mussten wir gehorsam die Tanzakus und Stifte von ihr entgegennehmen und dann zu unseren Stühlen zurückkehren.
Haruhi summte und fing dann mit dem Schreiben an; Nagato bewegte sich kein Stück und starrte auf den Tanzaku, während Asahina-san einen besorgten Gesichtsausdruck hatte, als würde sie gerade mit einem Problem konfrontiert werden, das eine schwere Matheaufgabe bei weitem übertrifft. Koizumi sagte entspannt: "Hm, das ist ein Problem", und neigte dabei tief in Gedanken versunken seinen Kopf. Müsst ihr drei wirklich so angestrengt darüber nachdenken? Würde es nicht besser sein das alles locker zu nehmen und einfach irgendetwas aufzuschreiben?
... und sagt mir nicht, dass die Wünsche wirklich in Erfüllung gehen!
Ich wirbelte den Stift um meine Finger und schaute zum Fenster. Der von Haruhi "gestohlene" Bambussprössling hing aus dem geöffneten Fenster, seine Blätter sahen deswegen schon ziemlich mitgenommen aus. Der Wind, der ab und zu wehte, verursachte ein raschelndes Geräusch, das gleichermaßen ein Gefühl von Kälte und Entspannung hinterließ.
"Sind alle fertig?"
Haruhis Stimme sorgte dafür, dass meine Seele in die Realität zurückkehrte. Auf dem Tisch vor ihr lagen zwei Zettel auf denen stand:
"Die Welt soll sich um mich drehen!"
"Ich wünsche mir, dass sich die Welt rückwärts dreht."
Dort auf den Zettel stand etwas gekritzelt, das man vielleicht von einem gestörten Kind erwarten würde und es wäre in Ordnung, wenn es als Witz gemeint gewesen wäre, aber Haruhi wirkte todernst, als sie ihren Tanzaku an ein Bambusblatt band.
Asahina-san schrieb mit ihrer süßen und ordentlichen Handschrift:
"Ich wünsche mir, dass sich meine Nähkünste verbessern."
"Ich wünsche mir, dass sich meine Kochkünste verbessern."
Die Wünsche, die Asahina-san gemacht hatte, waren einfach zu liebenswert. Sie schloss ihre Hände zusammen und betete die Tanzakus an, die sie vorher an die Bambusblätter gehängt hatte. Ich denke sie musst da etwas missverstanden haben.
Auf Nagatos Tanzakus stand nichts Interessantes. Sie hatte auf sie in einer sehr regelmäßigen Schrift abstrakte Wörter wie "Harmonie" oder "Reformation" geschrieben.
Bei Koizumi sah es genauso aus. In einer überraschend wilden Schrift hatte er so einfache Schlagwörter wie "Weltfrieden" oder "harmonische Familie" auf die Tanzakus geschrieben.
Was mit mir ist? Meine waren auch sehr einfach gehalten. In 25 bzw. 16 Jahren würde ich schon ein alter Sack sein, deswegen dachte ich mein zukünftiges Ich würde sich Folgendes wünschen:
"Gib mir Geld."
"Gib mir ein großes Haus mit einem Garten, in dem ich meinen Hund baden kann."
"Du bist vielleicht ein Snob."
Haruhi sprach ihre Gedanken aus, als sie erstaunt meine Zettel betrachtete. Sie war die Letzte, die wegen meiner Wünsche so überrascht sein sollte. Auf lange Sicht gesehen sind meine Wünsche viel nützlicher als deiner, dass sich die Welt rückwärts drehen soll!
"Soviel dazu. Denkt daran, dass ihr euch die Wünsche die ihr aufgeschrieben habt merkt! Das erste Schlüsselereignis wird in sechzehn Jahren sein. Machen wir daraus ein Rennen wessen Wunsch Altair zuerst erfüllt!"
"Oh ... in Ordnung."
Asahina-san nickte mit einem ernsten Gesichtausdruck, während Nagato schon wieder in ihre Welt der Bücher zurückgekehrt war. Auch ich setzte mich wieder auf meinen Stuhl und beobachtete Haruhi.
Haruhi hängte den langen Bambussprössling aus dem Fenster und befestigte ihn. Dann schob sie einen Stuhl neben das Fenster, setzte sich drauf und legte ihre Ellbogen auf den Fensterrahmen, während sie dabei in den Himmel starrte. Sie sah etwas melancholisch aus, als wüsste sie nicht was sie tun sollte. Haruhi ist die Art Mensch, deren Stimmung von einem Augenblick auf den anderen umschlägt. Dabei hat sie eben noch so begeistert herumgeschrieen.
Ich öffnete mein Textbuch und versuchte ein weiteres Mal die Prüfungen in Angriff zu nehmen. Als ich gerade damit beschäftigt war mir die unterschiedlichen Arten von Adjektiven zu merken …
"Sechzehn Jahre … Das ist eine lange Zeit."
Hörte ich Haruhi hinter mir flüstern.
Während Nagato leise ihre ausländischen Romane las, Koizumi gegen sich selber Schach spielte und ich damit beschäftigt war mir meine Englischübersetzungen einzuprägen, saß Haruhi die ganze Zeit am Fenster und schaute in den Himmel. Sie war genau genommen ein ziemlich schöner Anblick, wenn sie da so saß und sich nicht bewegte. Ich dachte erst sie hätte sich von Nagato eine Scheibe abgeschnitten, aber dann wurde mir ihr Verhalten immer unheimlicher. In mir kam der Verdacht auf, dass sie sich wieder neue Dinge ausdachte, mit denen sie uns Kopfschmerzen bereiten würde.
Haruhi wirkte heute warum auch immer ziemlich niedergeschlagen. Manchmal schaute sie in den Himmel und seufzte dabei schwer. Das ließ mich nur noch mehr schaudern, denn ihre Stille konnte nur die Ruhe vor dem Sturm sein, wirklich schrecklich. Der Kaiser Sutoku hat sich vermutlich genauso verhalten, als er die ersten zwei bis drei Tage in Sanuki im Exil gewesen ist.
Raschel Ich hörte das Geräusch von raschelndem Papier und hob meinen Kopf. Mir gegenüber saß Asahina-san, die vor kurzem noch an ihren Matheaufgaben gesessen hatte und nun einen Finger auf ihre Lippen legte und mit dem rechten Auge zwinkerte. Sie gab mir einen weiteren Tanzaku, den sie vorher in weiser Voraussicht eingesteckt hatte. Danach schaute sie vorsichtig zu Haruhi, zog ihre Hand wieder zurück und senkte dann ihren Kopf, als wäre sie ein kleines Mädchen, das gerade jemanden erfolgreich einen Streich gespielt hatte.
Mein Verlangen ihr Komplize zu werden war nun erst recht erwacht. Ich nahm schnell den Tanzaku und las ihn sorgfältig durch.
"Bitte bleib noch im Clubraum wenn wir fertig sind – Mikuru-chan."
Diese Nachricht stand in einer kleinen und runden Schrift auf dem Zettel.
Wie könnte ich da nein sagen?
"Schluss für heute."
Sagte Haruhi, nahm dann schnell ihre Tasche und verließ das Zimmer. Sie verhielt sich heute eher ungewöhnlich, so wie ein Diesellaster, der plötzlich so zahm wie ein solarbetriebenes Auto geworden ist. Heute läuft es für mich wirklich gut, dachte ich.
"Dann sollte ich auch gehen."
Koizumi räumte sein Schachbrett auf und erhob sich von seinem Stuhl. Nachdem er Blicke mit Asahina-san und mir ausgetauscht hatte, verließ auch er den Raum des Literaturclubs.
Nagato schloss ihr Buch mit einem lauten Knall. Oh, du gehst auch? Danke für dein Verständnis … Gerade als ich mich dankbar fühlte, schlich Nagato wie eine Katze zu mir.
"Nimm das hier."
Sie nahm ein Stück Papier aus ihrer Tasche. Es war noch ein Tanzaku. Ich kann das für dich leider nicht ins All schicken! Dachte ich, als ich den Tanzaku anschaute.
Auf ihm waren seltsame geometrische Formen abgebildet. Was zum Teufel ist das? Irgendeine sumerische Sprache? Ich fürchte selbst die Enigma-Maschine wird das nicht dechiffrieren können.
Ich zog meine Augenbrauen hoch und studierte die Muster, die weder Zeichnungen noch Wörter waren, sondern nur dreieckige, kreis- oder wellenförmige Formen. Nagato hatte währenddessen schon ihre Tasche gepackt und das Zimmer verlassen.
Vergiss es. Ich packte den Tanzaku in meine Jackentasche und drehte mich zu Asahina-san.
"T ... Tut mir leid, aber ich hoffe, dass du mit mir zu einem bestimmten Ort kommst."
Die Einladung kam von niemand anderem als Asahina-san. Ich sollte verdammt sein, wenn ich ihre Einladung nicht annehmen würde. Ich hätte mich sogar in eine Grube mit geschmolzenem Eisen gestürzt, wenn sie es mir befehlen würde.
"In Ordnung, wohin gehen wir?"
"Das ... äh ... drei Jahre zurück."
Ich fragte nach dem Ort und sie antwortete mit einer Zeitangabe. Aber ...
Nicht schon wieder drei Jahre zurück. Dachte ich, aber trotzdem war ich neugierig. Immerhin behauptete Asahina-san, dass sie eine Zeitreisende aus einer unbekannten Zukunft ist, obwohl ich das immer vergaß, weil sie so niedlich ist. Aber drei Jahre zurück? Wir gehen an einen Ort vor drei Jahren? Heißt das, dass wir durch die Zeit reisen werden?
"J ... ja."
"Na gut, ich hab keine Einwände, aber warum ich? Was werden wir dort machen?"
"Das ... das wirst du sehen, wenn wir dort sind ... denke ich."
Was?
Vielleicht war es mein verwirrter Gesichtsausdruck, der Asahina-san dazu veranlasste, verzweifelt ihre Hände zu schütteln und mich mit Tränen in den Augen anzuflehen:
"Bitte! Bitte frag nicht weiter und stimm einfach zu! Sonst werde ich ... äh ... gibt es ein Problem."
"Ok, lass uns gehen."
"Wirklich? Vielen Dank!"
Asahina-san war zufrieden und nahm fröhlich meine Hände. Ah, Asahina-sans Glück ist auch mein Glück, hahaha!!!
Wenn ich so darüber nachdenke, gab es, als Asahina-san mir erklärte, dass sie aus der Zukunft stammen würde, niemanden der ihre Behauptung bestätigen konnte. Erst als ich der erwachsenen Version von Asahina-san begegnete, hatte ich ihr das wirklich abgekauft, obwohl ich immer noch ganz sicher war, dass dahinter nicht irgendeine Verschwörung stecken könnte. Würde das jetzt nicht eine gute Gelegenheit sein, um zu beweisen, dass "Asahina-san aus der Zukunft stammt"?
"Und wo ist die Zeitmaschine?"
Ich hatte gedacht, dass wir nur wie Doraemon in einen Schrank klettern mussten, aber Asahina-san sagte, dass es so eine Maschine nicht gab. Wie sollen wir dann durch die Zeit reisen? Asahina-san wand sich hin und her und kniff dann in ihre Schürze. Dann sagte sie:
"Wir werden von hier aus gehen."
Was? Von hier? Ich drehte mich und schaute mich ungezwungen im Raum um, in dem außer uns beiden niemand mehr war.
"Ja, setz dich bitte hin. Und könntest du bitte deine Augen schließen? Gut und nun entspann deine Schulter."
Ich machte was sie zu mir sagte und hoffte, dass mir nicht plötzlich jemand auf den Hinterkopf schlagen würde.
"Kyon-kun ..."
Asahina-sans leise Stimme war direkt hinter meinem Ohr zu hören. Der sanfte Lufthauch ihres Atems war wirklich angenehm.
"Tut mir leid."
Ich hatte ein schlechtes Gefühl als sie das sagte, aber als ich meine Augen öffnen wollte, wurde um mich herum plötzlich alles dunkel. Ich spürte eine starke Benommenheit, als würde ich das Gleichgewicht verlieren und wurde dann ohnmächtig. Bevor ich von der Dunkelheit umschlungen wurde, dachte ich noch, dass ich nicht zugestimmt hätte, wenn ich das gewusst hätte.
Als ich wieder zu Bewusstsein kam, hatte sich meine Sicht um 90 Grad gedreht. Alles was eigentlich stehen sollte, lag plötzlich auf dem Boden. Als ich die Straßenlampen über mir sah, wurde mir klar, dass ich lag. Genau in dem Moment spürte ich an der linken Seite meines Kopfes plötzlich etwas Warmes.
"Oh, du bist aufgewacht?"
Sagte eine engelsgleiche Stimme. Nun war ich wieder voll da. Was kam da gerade unter meinem linken Ohr hervor?
"Äh ... wenn du deinen Kopf nicht hebst ... dann würde ich ...“
Asahina-san klang etwas beunruhigt. Ich stand auf und bestätigte wo ich mich befand.
Eine Bank nachts im Park.
Was passiert hier gerade? Ich hatte auf Asahina-sans Beinen geschlafen und weil ich geschlafen hatte, konnte ich mich an absolut gar nichts erinnern. Das ist sehr schade.
"Meine Beine sind schon taub geworden, das war ganz schön anstrengend."
Asahina-san lächelte und senkte ihren Kopf vor Verlegenheit. Ich wusste nicht wo sie sich umgezogen hatte, aber sie trug jetzt nicht mehr ihr Dienstmädchenkostüm, sondern die Matrosenuniform der North High. Aber sie hatte von der Dämmerung bis zur späten Nacht auch mehr als genug Zeit um sich umzuziehen, da ich die ganze Zeit geschlafen hatte. Aber wieso hatte ich geschlafen?
"Das kommt daher, dass du nicht wissen durftest wie das Zeitreisen funktioniert, denn das ist Geheimsache ... bist du wütend?"
Nein, ich bin überhaupt nicht wütend. Hätte Haruhi das gemacht, hätte ich ihr wohl schon eine runtergehauen, aber da es Asahina-san gewesen war, hat es mir nichts ausgemacht.
Aber da wir gerade davon sprechen, ich hab eben, als ich auf dem Stuhl im Clubraum saß, nur kurz meine Augen geschlossen, wieso bin ich plötzlich im Park und es ist mitten in der Nacht? Und ich hab das Gefühl, dass ich in diesem Park schon mal gewesen bin. Ich erinnere mich daran, dass Nagato mich hier damals treffen wollte. Ist das hier irgendeine Pilgerstätte der komischen Leute?
Ich kratzte mich am Kopf, es gab da etwas das ich fragen musste.
"In welcher Zeitebene befinden wir uns?"
Die neben mir sitzende Asahina-san antwortete:
"Ausgegangen von unserer Ursprungszeit haben wir heute den 7. Juli vor drei Jahren. Es ist ungefähr neun Uhr nachts, nehme ich an."
"So ist das also."
"Ja."
Sie schaute ernst.
Ich hätte nicht gedacht, dass Zeitreisen so einfach ist. Natürlich war ich nicht naiv genug, um alles was sie mir erzählte zu glauben. Ich müsste es erst bestätigen, indem ich die Zeit- und Wetteransage anrufen würde.
Als ich Asahina-san erzählen wollte was ich vorhatte, spürte ich plötzlich etwas Schweres auf meiner Schulter. Was? Asahina-san hatte ihren Kopf auf meine Schulter gelegt. Warum lehnte sie sich einfach so gegen mich?
"Asahina-san."
Keine Antwort.
"Äh ..."
Schnarch ...
Sie schnarcht?
Ich lehnte meinen Kopf 85 Grad nach links und sah, dass Asahina-san ihre Augen geschlossen hatte, während aus ihrem halb geöffneten Lippen ein leises Schnarchen zu vernehmen war. Was passiert hier gerade?
Raschel …
Die Büsche hinter uns fingen an zu rascheln. Mir wäre fast das Herz in die Hose gerutscht, was war das?
"Schläft sie?"
Aus dem Gebüsch kam niemand anderes als ... noch eine Asahina-san.
"Guten Abend, Kyon-kun."
Es war die Luxusausgabe von Asahina-san. Eine schöne junge Frau, viel älter als die auf meiner Schulter schlafende Asahina-san, bei der sich alles prächtig entwickelt hatte. Während sie immer noch niedlich aussah, hatte sich ihr Charme verzehnfacht. Ich hatte sie schon mal getroffen und wie letztes Mal trug sie eine weiße Bluse und einen blauen, engen Minirock. Diese Asahina-san lief nun zu uns hin.
"Hehe, von hier",
Die erwachsene Asahina-san kniff der schlafenden Asahina-san in die Wand und sagte,
"Sieht sie wie ein Kind aus."
In Nostalgie schwelgend, strich Asahina-san (groß) über die Matrosenuniform von Asahina-san (klein).
"So sah ich also in diesem Alter aus."
Ich konnte nichts anderes machen als still zu sitzen und Asahina-san (groß) voller Ehrfurcht zu bewundern, während ich den Atem von Asahina-san (klein) auf meinem Arm spürte.
"Es war ihre Aufgabe dich hierher zu bringen und von nun an ist es meine Aufgabe dich zu führen."
Ich wirkte wie ein Idiot, als ich Asahina-san, die selbst wenn sie lächelte eine erwachsene Ausstrahlung besaß, fragte:
"Äh ... was für ..."
"Ich kann es dir nicht genau erklären, da es wieder Geheimsache ist. Das Einzige was ich machen kann ist dich anzuleiten."
Ich drehte mich, um mir die Asahina-san anzuschauen, die auf meiner Schulter lag.
"Ich hab sie einschlafen lassen, weil sie mich nicht sehen darf."
"Warum?"
"Weil ich, als ich sie gewesen bin, mich nicht gesehen habe."
Die Erklärung klang gleichermaßen einleuchtend und verwirrend. Die bezaubernde Asahina-san kniff ein Auge zusammen und sagte:
"Folge den Schienen nach Süden und du erreichst eine öffentliche Junior High School. Könntest du der Person vor dem Zaun der Schule bitte helfen? Und kannst du jetzt gehen? Und ich hoffe es stört dich nicht mich dabei zu tragen, ich sollte nicht so schwer sein."
Sie klang wie einer dieser Dorfbewohner aus einem Rollenspiel. Ich frage mich welchen Schatz ich als Belohnung erhalten würde.
"Eine Belohnung? Nun ..."
Die erwachsene Asahina-san legte ihre Hände elegant unter ihr Kinn und dachte angestrengt nach. Dann antwortete sie mit einem erwachsen wirkenden Lächeln:
"Ich hab nichts, was ich dir anbieten könnte, aber wenn du möchtest, kannst du mich sanft küssen während ich schlafe. Aber achte darauf, dass ich dabei wirklich schlafe."
So ein attraktives Angebot! Das ist genau das, was ich mir gewünscht habe. Der Anblick der tief und fest schlafenden Asahina-san war so süß, dass ich in Versuchung geriet, aber ...
"Das ist etwas ..."
Ich weiß nicht ob es meine Stimmung oder die Situation gewesen war, aber ich hatte einfach das Gefühl, es wäre nicht angemessen gewesen. Meine eigene Rationalität widerte mich an.
"Die Zeit läuft uns davon, du musst nun gehen."
Ist das diesmal der Tipp?
"Oh, ja, sag ihr bitte nicht, dass ich hier gewesen bin. Hake bitte deinen Finger ein und versprich es mir."
Ich hob automatisch meinen kleinen Finger und hakte ihn bei Asahina-sans (groß) kleinem Finger ein. Können wir das nicht noch eine Minute länger machen?
"Auf Wiedersehen, Kyon-kun."
Sagte Asahina-san fröhlich und verschwand in die Dunkelheit. Es dauerte nur einen Augenblick, bis sie nicht mehr zu sehen war. Diesmal hatte sie es wirklich eilig.
"Nun denn ...", murmelte ich. Würde ich diese erwachsene Asahina-san noch mal wieder treffen? Mir kam es so vor, als hätte sie sich seit damals, als ich von ihr diesen seltsamen Tipp bekam, nicht großartig verändert. Vielleicht kam diese Asahina-san aber auch von einer Zeitebene die vor der lag, aus der die andere stammte. Ich verstehe es nicht. Wie könnte ich auch. Jedenfalls wäre es möglich, dass ich noch auf viele andere Asahina-sans aus unterschiedlichen Zeitebenen treffen würde.
Asahina-san, die ich auf meinem Rücken trug, war nicht leicht, aber sie war auch nicht schwer. Es war klar, dass ich mit ihr nicht so schnell gehen konnte. Von ihrem engelsgleichen Gesicht blies ein so sanfter Hauch in mein Ohr, dass ich fast das Gefühl hatte einen Frevel zu begehen. Und dann juckte mein Hals auch noch wegen ihres Atems.
Ich ging den Blicken der Fußgänger aus dem Weg (obwohl zu dieser Zeit sowieso kaum jemand auf der Straße war) und lief schnell in die Richtung, die mir die erwachsene Asahina-san genannt hatte. Es waren ungefähr zehn Minuten die ich brauchte, bis wir unser Ziel endlich erreichten. Auf dem Weg dorthin wurden die Fußgänger immer weniger.
East Junior High. Ich hab schon mal von diesem Ort gehört. Es war Taniguchis und Haruhis Junior High School. Und da wir gerade davon reden, vor dem Schulzaun stand eine bekannte Person. Ich erkannte die kleine Gestalt, die gerade über den Zaun klettern wollte, sofort.
"He!"
Ich war überrascht. Woher wusste ich wer diese Person ist? Das war unglaublich. Ich sah nur ihren Rücken, ihre Höhe war viel kleiner als ich sie in Erinnerung hatte und die dunklen, glatten Haare waren weder lang noch kurz.
Natürlich gab es nur eine Person die ich kannte, die Nachts rausschleichen und einen Schulzaun besteigen würde.
"Was?"
Jetzt hatte ich wirklich das Gefühl, dass ich der Vergangenheit von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen würde. Ehrlich, es schien so als wäre ich tatsächlich drei Jahre in die Vergangenheit gereist.
Das Gesicht von der Person, die ihren Kopf gedreht hatte und sich nun an den Zaun lehnte, war wirklich jünger als das der Kommandantin der SOS-Brigade. Trotzdem war es offensichtlich, dass ihre funkelnden Augen die Augen von Haruhi waren. Selbst wenn sie ganz salopp ein T-Shirt und eine Shorts trug, gab es für mich keinen Zweifel. Vor drei Jahren war Haruhi im ersten Jahr der Junior High School. Könnte sie die Person sein, der ich helfen sollte?
"Wer bist du? Ein Sexverbrecher? Oder ein Kidnapper? Jedenfalls siehst du verdächtig aus."
Die Straßenlampen tauchten die Straße in ein schummriges weißes Licht. Ich konnte nicht genau erkennen was Haruhi für ein Gesicht machte, aber es kam mir so vor, dass die Schülerin aus dem ersten Jahr der Junior High School mich argwöhnisch anstarrte. Wer von uns beiden war verdächtiger? Ein Mädchen, das mitten in der Nacht den Schulzaun besteigt oder jemand, der herumlungert und auf dem Rücken ein schlafendes Mädchen trägt? Ich hab wirklich keine Lust auf diese Frage weiter einzugehen.
"Du bist es, die hier verdächtig aussieht. Was machst du denn da?"
"Was mache ich wohl? Ich versuche natürlich unerlaubt in die Schule einzudringen."
Erklär nicht einfach unverhohlen deine kriminellen Absichten! Selbst Dreistigkeit hat ihre Grenzen!
"Du kommst gerade richtig. Ich kenne dich zwar nicht, aber wenn du Zeit hast, kannst du mir etwas helfen! Oder ich rufe die Polizei."
Ich sollte derjenige sein, der die Polizei ruft, aber ich hatte Asahina-san schon versprochen Haruhi zu helfen. Andererseits frage ich mich langsam, wieso ich mich ständig mit dieser Existenz, bekannt unter dem Namen Suzumiya Haruhi, abgeben muss. Und nun sogar in dieser Zeitebene?
Haruhi sprang vom Zaun ins Innere der Schule und öffnete das Schloss mit einem Schlüssel. Woher hatte sie diese Schlüssel?
"Ich hab sie gestohlen als gerade niemand hingeschaut hatte. Das war schon fast zu einfach."
Sie war wirklich eine Taschendiebin. Haruhi schob das Tor des Metallzaunes langsam zur Seite und winkte dann. Ich ging zum kleinen Mädchen, das einen Kopf kürzer war als ihr zukünftiges Ich in drei Jahren, und hielt dabei Asahina-san fest.
Neben dem Eingang der East Junior High befand sich der Sportplatz. Auf der anderen Seite lag das Schulgebäude. Haruhi ging diagonal über den dunklen Sportplatz.
Es ist gut, dass es so dunkel gewesen war, denn so konnte sie weder das Gesicht von Asahina-san noch von mir richtig erkennen. In drei Jahren wird Haruhi nichts davon wissen, dass sie Asahina-san und mich im ersten Jahr der Junior High School getroffen hatte. So war es richtig, denn sonst würden wir einige Probleme bekommen.
Haruhi führte mich sofort zum Geräteschuppen am Rande des Sportplatzes. Im Inneren befanden sich ein verrosteter Wagen mit einer Kreidemaschine dran und einige Säcke voll Kreidepulver.
"Ich hab das vorher im Geräteschuppen versteckt, ziemlich clever, was?"
Sagte Haruhi strahlend und stellte dann den Sack mit dem Kreidepulver, der fast genauso schwer war wie sie, auf den Wagen und schob ihn dann nach draußen. Als ich sie dabei beobachte, wie sie den Wagen langsam heraus schob, wurde mir erst klar wie jung sie eigentlich war. Schüler der Junior High School sind eben doch noch Kinder.
Ich legte Asahina-san vorsichtig auf den Boden und lehnte sie gegen die Wand des Geräteschuppens. Bitte sei ein artiges Mädchen und bleib hier sitzen.
"Lass mich das machen. Gib mir das Ding, du kannst die Kreidemaschine tragen."
Sollte ich ihr wirklich helfen? Die ganze Zeit hatte Haruhi mich wie einen Sklaven behandelt, sie führte sich wie ein amoklaufender Roboter auf, der nicht aufhören würde, bis er alles zerstört hatte. Anscheinend war sie schon damals so. Es hätte mich aber auch gewundert, wenn sich ein angeborener Charakter innerhalb von drei Jahren so stark verändern würde.
"Folge meinen Anweisungen und zeichne die Linien. Ja, du bist gemeint. Ich muss nämlich von weiter weg zuschauen, damit ich bemerke, wenn du Fehler machst. Ah! Du hast schon etwas falsch gezeichnet! Was machst du da!?"
Kein Zweifel, das muss Haruhi sein, niemand anderes wäre in der Lage einen High School Schüler, den sie gerade erst getroffen hat, ohne rot zu werden herumzukommandieren. Wäre mir so eine Junior-High-Schülerin das erste Mal über den Weg gelaufen, würde ich sie wohl für geisteskrank halten.
Aber ich kannte ja schon Nagato, Asahina-san und Koizumi, deswegen war es für mich nichts Ungewöhnliches mehr.
Ich folgte Haruhi Anweisungen und zeichnete quer über den Sportplatz weiße Linien. Es dauerte ungefähr dreißig Minuten und in der ganzen Zeit tauchte weder ein Lehrer auf Patrouille auf noch erschien ein Polizeiwagen, um der Beschwerde von Nachbarn nachzugehen.
Könnten die seltsamen Symbole, die nach Taniguchi einfach so auf dem Sportplatz erschienen waren, von niemand anderem als mir selbst gezeichnet worden sein?
Ich schaute mir schweigend die Muster an, die ich so mühsam gezeichnet hatte. Haruhi kam zu mir und nahm mir die Kreidemaschine aus der Hand. Dann zeichnete sie noch ein paar Linien mehr und sagte:
"He, glaubst du an Außerirdische?"
Das kam überraschend.
"Ich denke schon."
Das Bild von Nagato zog an meinem geistigen Auge vorbei.
"Was ist mit Zeitreisenden?"
"Hm, es würde mich nicht überraschen, wenn es sie gibt."
Im Moment bin ich selber einer.
"Und wie sieht es mit Espern aus?"
"Sie sind überall, nehme ich an."
Ich dachte plötzlich an unzählige rote Punkte, die um mich herumschwebten.
"Und Leute aus anderen Universen?"
"Ich hab bis jetzt noch keine getroffen."
"Hmph."
Haruhi warf die Kreidemaschine zur Seite und rieb sich mit ihrem Ärmel die Kreide aus dem Gesicht.
"Hm, das sollte reichen."
Ich fühlte mich etwas seltsam, vielleicht weil ich etwas gesagt hatte, das ich lieber nicht hätte sagen sollen? Haruhi schaute zu mir hoch und sagte:
"Ist das eine Uniform der North High?"
"Ja."
"Wie heißt du?"
"John Smith."
"Bist du blöd oder was?"
"Darf ich kein Pseudonym benutzen?"
"Und wer ist das Mädchen da?"
"Das ist meine Schwester. Sie leidet unter einer Schlafstörung namens Narkolepsie. Sie hat das schon länger, schläft plötzlich überall und zu jeder Zeit ein und ich muss sie dann tragen."
"Hmph."
Haruhi biss sich in die Lippe und drehte sich mit einem Gesichtsausdruck als würde sie mir nicht glauben von mir weg. Ich entschloss mich das Thema zu wechseln.
"Was ist das übrigens?"
"Weißt du das nicht? Eine Botschaft."
"Für wen? Sag nicht für Hikoboshi und Orihime."
Haruhi starrte mich überrascht an und fragte:
"Woher weißt du das?"
"Nun, wir haben heute Tanabata und ich kenne jemand, der so was auch macht."
"Wirklich? Ich würde diese Person gerne treffen. Gibt es in der North High wirklich so jemand?"
"Na klar."
Ob heute oder morgen, es gibt nur eine Person, die so was machen würde, und das bist du.
"Hm, North High, ja?"
Murmelte Haruhi tief in Gedanken versunken. Sie war eine Zeit lang still und drehte sich dann plötzlich um.
"Ich geh jetzt nach Hause. Hab alles erledigt was ich machen wollte. Bis dann."
Sie stolzierte von dannen, ohne mir zu danken. Wie unhöflich, aber das passte zu Haruhi. Außerdem hatte sie mir nicht mal ihren Namen genannt. Andererseits war das vermutlich auch gut so.
Wir können hier nicht für alle Ewigkeit bleiben, als entschloss ich mich Asahina-san aufzuwecken. Natürlich hatte ich vorher den Wagen und das Kreidepulver, die von Haruhi zurückgelassen wurden, wieder zurück in den Geräteschuppen gestellt.
Asahina-san sah so niedlich wie ein kleines Kätzchen aus als sie schlief; ich geriet in Versuchung etwas Unanständiges zu machen, aber ich widerstand diesem Drang und schüttelte dann vorsichtig an ihren Schultern.
"Äh ... Was? Wie? ..."
Nachdem sie ihre Augen geöffnet hatte, schaute sich Asahina-san verwirrt um.
"WAS!?"
Schrie sie und sprang dann auf.
"W ... w ... wo sind wir gerade? Warum? Welche Zeit haben wir?"
Wie soll ich das beantworten? Gerade als ich über eine Antwort nachdachte, schrie Asahina-san plötzlich "AH!!!" Selbst im Dunkeln konnte ich erkennen, dass ihr weißes Gesicht noch viel blasser war als sonst.
Asahina-san suchte sich mit ihren Händen ab.
"Der ZEZ ... er ist verschwunden. Ich kann ihn nicht finden ..."
Sagte Asahina-san den Tränen nahe und kurze Zeit später fing sie tatsächlich an zu weinen. Sie sah aus wie ein Kind, das sich gerade verlaufen hatte, und rieb mit ihren Händen in den Augen während die Tränen unaufhörlich flossen. Aber nun war nicht der richtige Zeitpunkt, um ihre Niedlichkeit zu bewundern.
"Was ist ein ZEZ?"
"Schluchz ... das ist Geheimsache. Ich darf dir das nicht erzählen … es ist eine Art Zeitmaschine. Ich hab ihn benutzt, um in diese Zeitebene zu reisen ... aber ich kann ihn nicht mehr finden. Ohne ihn können wir nicht in unsere Zeit zurückkehren ..."
"Wie konntest du ihn denn verlieren?"
"Weiß ich nicht ... man kann ihn eigentlich nicht verlieren ... aber er ist wirklich weg."
Ich dachte an die andere Asahina-san, die sie eben berührt hatte.
"Kommt denn niemand, um uns zu helfen ..."
"Nein, das ist unmöglich. Schluchz ..."
Während Asahina-san weiter schluchzte, erklärte sie mir, dass jedes Ereignis in einer Zeitebene schon feststehen würde; wenn es also einen ZEZ gab, dann sollte er in ihrem Besitz sein. Aber da dies nicht der Fall war, bedeutet das, dass es unvermeidlich war, dass sie ihn verliert. Es war also schon beschlossene Sache, dass sie "ihn nicht länger bei sich hat" ... oder so was in der Art. Und was bedeutet das?
"Was machen wir nun?"
"Schluchz ... Wenn wir keinen Ausweg finden, dann bedeutet das, dass wir in dieser Zeitebene bleiben müssen und nicht in unsere Zeit zurückkehren können."
Das klingt ernst! Dachte ich, war aber irgendwie trotzdem nicht sonderlich besorgt. Die erwachsene Asahina-san hatte mir nichts davon erzählt. Ich ging davon aus, dass sie den ZEZ weggenommen und damit diese Situation heraufbeschworen hatte. Vermutlich war Asahina-san nur deswegen in die Vergangenheit gereist. Für sie, die aus einer noch entfernteren Zeit stammte als die jüngere Asahina-san, war dieses Ereignis unausweichlich.
Ich wendete meinen Blick von der immer noch vor sich hin schluchzenden Asahina-san ab und schaute mir den Sportplatz an. Die von Haruhi ausgedachten und von mir gezeichneten geheimnisvollen Muster sahen ziemlich chaotisch aus. Die Lehrer und Schüler der East Junior High werden am nächsten Tag sicherlich einen Schock bekommen, wenn sie sie sehen. Ich hoffe nur, dass diese Kritzeleien keine Flüche sind, die irgendwelche Außerirdischen beleidigen ... Gerade als ich darüber nachdachte, ging mir endlich ein Licht auf.
Die Schule wurde von den Straßenlampen nur in ein mattes Licht getaucht und deswegen konnte man kaum was sehen. Außerdem waren die weißen Linien so dick, dass ich sie nicht erkennen konnte, wenn ich nicht etwas von ihnen entfernt stehen würde.
Deswegen hatte es so lange gedauert, bis ich es bemerkte.
Ich griff in meine Tasche und holte den Tanzaku heraus, den Nagato mir gegeben hatte. Auf ihm befanden sich einige seltsame, geometrische Figuren.
"Vielleicht gibt es eine Möglichkeit wie wir hier wegkommen."
Sagte ich und während Asahina-san mich blinzelnd anschaute, fuhr ich damit fort den Tanzaku zu studieren.
Die Muster darauf waren genau die gleichen, die Haruhi und ich vor kurzem auf den Sportplatz gezeichnet hatten.
Wir verließen schnell die East Junior High und begaben uns zu einem Luxuswohnblock in der Nähe der Haltestelle.
"Wohnt hier nicht ... Nagato-san?"
"Ja, ich hab sie zwar nicht gefragt, wann genau sie zur Erde gekommen ist, aber ich bin sicher, dass sie auch schon vor drei Jahren hier gewesen ist … hoffe ich jedenfalls."
Ich stand vor dem Haupteingang des Wohnblocks und drückte den Knopf für Raum 708. Aus der Sprechanlage war ein Piepen zu hören, ich spürte die Wärme von Asahina-sans Händen an meinem Ärmel. Dann sprach ich in das Mikrofon:
"Ist das der Wohnsitz von Nagato Yuki?"
"...", antworte die Sprechanlage.
"Äh, Ich weiß nicht wie ich das erklären soll ..."
"..."
"Ich bin ein Freund von Suzumiya Haruhi ... sagt dir das etwas?"
Ein kühl wirkendes Atmen war von der anderen Seite der Sprechanlage zu hören. Es gab eine kurze Pause und dann ...
"Tritt ein."
Piep. Die Eingangstür öffnete sich. Ich ging mit Asahina-san, die ziemlich verängstigt wirkte, in den Fahrstuhl und fuhr mit ihr dann in den 7. Stock. Dort drückte ich die Tür des mir wohlbekannten Raumes Nr. 708 zaghaft auf.
Im Eingangsflur stand Nagato Yuki. Es kam mir alles so surreal vor. Stimmte es wirklich, dass Asahina-san und ich in die Vergangenheit gereist waren?
Nagato sah genauso wie immer aus, was mich daran zweifeln ließ, ob wir uns wirklich in der Vergangenheit befanden. Die Art wie sie die Uniform der North High trug, der Blick ihrer gefühlslos wirkenden Augen, das Fehlen jeglicher Körperwärme und der Eindruck, als würde sie gar nicht existieren; alles war genauso wie bei der Nagato die ich kannte. Der einzige Unterschied zur mir bekannten Nagato war, dass diese Nagato immer noch ihre Brille trug.
"Hey!" Ich hob meinen Arm und lächelte sie freundlich an, aber Nagato reagierte so emotionslos wie immer. Währenddessen versteckte sich Asahina-san hinter meinem Rücken und zitterte unaufhörlich.
"Können wir reinkommen?"
"..."
Nagato wandte sich schweigend in Richtung ihrer Wohnung. Ich nahm an, dass sie Asahina-san und mir damit die Erlaubnis zum Eintreten gegeben hatte. Wir zogen unsere Schuhe aus und gingen ins Wohnzimmer. Es war so wie das Zimmer in drei Jahren, immer noch leer. Nagato stand mitten im Zimmer und wartete auf uns. Mir blieb wohl keine andere Wahl, als ihr alles zu erklären. Wo sollte ich anfangen? Vom ersten Tag in der Schule an, als ich das erste Mal Haruhi traf? Das ist eine verdammt lange Geschichte.
Ich übersprang die Details und fasste alles was passiert war knapp zusammen. Ihre emotionslos wirkenden Augen schauten mich dabei die ganze Zeit an. Ich denke ich hatte ungefähr fünf Minuten gebraucht, um alles zu erklären. Ehrlich gesagt kam mir diese Geschichte über Haruhi ziemlich absurd vor.
"... und dann hat dein Ich aus der Zukunft in drei Jahren mir dieses hier gegeben."
Nagato starrte den Tanzaku an und fuhr mit ihren Fingern über die seltsamen Symbole, als würde sie gerade einen Strichcode lesen.
"Verstanden."
Nagato nickte mit ihrem Kopf. So einfach ist das? Moment, ich dachte plötzlich an etwas, das mich wirklich beschäftigte.
Ich fasste mich an meine Schläfe und sagte:
"Es stimmt, dass ich Nagato schon eine Weile kenne, aber für dich liegt das drei Jahre in der Zukunft. Das heißt, dass es für dich das erste Mal ist, dass wir uns treffen, ja?"
Selbst ich verstand nicht, was ich da redete, aber Nagato sagte, als wäre nichts passiert:
"Ja."
"Dann ..."
"Erlaubnis zur Speicherteilung mit alternativer temporaler Disparität wird eingeholt. Lade rückwärts gerichtete Zeitebenen-Daten runter."
Was zum Teufel meinte sie?
"Das Ich aus der Zeitebene in drei Jahren und das Ich, das in dieser Zeitebene existiert, sind ein und dieselbe Person."
Und weiter? Das ist doch normal. Aber ist es möglich, dass die Nagato vor drei Jahren mit der Nagato drei Jahre später die Erinnerungen teilen kann?
"Es ist möglich."
Wie machst du das?
"Synchronisation."
Äh, ich verstehe es immer noch nicht.
Nagato hörte auf mir zu antworten und setzte langsam ihre Brille ab. Ihre emotionslos wirkenden Augen schauten mich an. Das war tatsächlich das Gesicht des bücherliebenden Mädchens das ich kannte. Es war die Nagato Yuki an die ich mich erinnerte.
"Wieso trägst du eigentlich die Uniform der North High? Gehst du dort schon zur Schule?"
"Nein, im Moment befinde ich mich im Bereitschafts-Modus."
"Bereitschaft ... hast du vor drei Jahre lang in Bereitschaft zu stehen?"
"Ja."
"Du hast wirklich ..."
Viel Geduld. Findest du das nicht langweilig? Nagato schüttelte ihren Kopf und sagte:
"Es ist meine Aufgabe."
Ihre klaren Augen schauten mich direkt an.
"Es gibt noch andere Möglichkeiten, um durch die Zeit zu reisen."
Nagato sagte mit einem ausdruckslosen Gesicht:
"Der ZEZ ist nur ein Werkzeug, um die Raumzeit zu kontrollieren. Er enthält Unsicherheiten und Ungenauigkeiten. Es gibt noch viele andere Theorien für die Bewegung im Raum-Zeit-Kontinuum."
Asahina-san umklammerte meine Hand fest.
"Äh ... was meinst du damit?"
"Es ist zulässig organische Lebensformen mit dem ZEZ durch die Zeit zu bewegen, aber es verursacht Störungen. Für uns ist er kein ideales Werkzeug."
Wenn du "uns" sagst, dann meinst du die empfindungsfähige Datenintegrations-Entität?
"Kann Nagato-san ihren ganzen Körper durch die Zeitebenen bewegen?"
"Der Körper ist nicht notwendig. Für das Zeitreisen reicht es aus Daten zu übertragen."
Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin- und her pendeln, ja?
Wenn Asahina-san das kann, dann sollte es für Nagato erst recht kein Problem sein, denn sie besitzt die nötigen Kräfte dafür. Ich fragte mich ob Asahina-san nicht ziemlich im Abseits steht, wenn ich sie mit Nagato und Koizumi vergleiche.
"Das reicht erstmal."
Ich unterbrach das Gespräch zwischen Asahina-san und Nagato, jetzt ist nicht der Moment, um über die Theorie und den Ablauf von Zeitreisen zu diskutieren. Die Frage ist wie Asahina-san und ich in die Zukunft in drei Jahren zurückkehren können.
Nagato nickte einfach nur und sagte:
"Es ist möglich."
Dann stand sie auf und öffnete die Papiertür, die ein Nebenzimmer mit dem Wohnzimmer verband.
"Hier."
Es war ein japanisches Schlafzimmer, auf dessen Boden sich Tatami-Matten befanden, eigentlich gab es im Raum nichts anderes außer den Matten. Das Zimmer wirkte ziemlich verlassen, so wie man es von Nagatos Wohnung erwarten würde. Das überraschte mich also nicht, aber wieso hat sie uns in dieses Gästezimmer geführt? Ist irgendwo im Raum eine Zeitmaschine versteckt? Gerade als ich eine Menge Fragen stellen wollte, nahm Nagato ein Futon aus dem Schrank und legte es auf den Boden. Sie holte sogar zwei Decken.
"Ich hoffe ich mache mir nur zu viele Gedanken ... willst du etwa, dass wir hier schlafen?"
Nagato schaute mich an, während sie die Decken trug. In ihren kristallklaren Pupillen reflektierten sich Asahina-san und ich deutlich.
"Ja."
"Hier? Mit Asahina-san? Wir beide?"
"Ja."
Ich warf einen heimlichen Blick zur Seite und sah die verlegene Asahina-san, ihr Gesicht war stark errötet. Diese Reaktion sollte man erwarten, nehme ich an.
Aber Nagato schien das nicht zu stören.
"Schlaft nun."
Sei nicht so direkt!
"Es ist nur Schlafen."
Seufz ... das wollte ich ja. Ich tauschte Blicke mit Asahina-san aus, was dazu führte, dass sie noch mehr errötete, während ich nur meine Achseln zucken konnte. Wir waren es, die Nagato um Hilfe gebeten hatten, wenn sie möchte, dass wir schlafen, dann schlafen wir. Falls wir uns nach dem Aufwachen wieder in unserer Zeit befinden würden, könnte ich mich nicht beschweren.
Nagato drückte den Schalter der Lampe und murmelte dabei etwas. Als ich mich fragte Sagt sie gerade gute Nacht zu uns?, fing die Lampe an zu flackern und ging aus.
Schadet ja nichts zu schlafen! Ich legte mit hin und zog die Decke über mich.
Sofort danach ging das Licht wieder an. Die Halogenröhre flackerte, bis sich das Licht stabilisiert hatte. Was? Woher kommt dieses seltsame Gefühl? Draußen sah ich den gleichen Nachthimmel wie zuvor.
Ich setzte mich auf und Asahina-san tat es mir gleich, während sie dabei die Decke umklammerte.
Ihr unschuldiges, kindliches Gesicht wirkte besorgt und sie sah mich fragend an, aber ich konnte ihre Fragen natürlich nicht beantworten.
Nagato stand wie vorher an der Tür zum Zimmer und hatte den Lichtschalter gedrückt.
Mir kam es so vor, als wäre das nicht Nagatos übliches Gesicht, irgendwie konnte ich so was wie Gefühle in ihm entdecken. Ich schaute mir das blasse, weiße Gesicht sorgfältig an; es ist als ob sie etwas ausdrücken wollte, aber es nicht konnte, weil sie mit ihrem Herzen in Konflikt stand. Hätte ich ihr Gesicht nicht über einen längeren Zeitraum beobachtet, würde mir so was wohl nicht auffallen. Obwohl ich nicht garantieren kann, dass es nicht nur meine Einbildung gewesen war.
Ich hörte wie jemand neben mir tief einatmete. Als ich mich umdrehte, sah ich Asahina-san, die an ihrer LCD-Uhr herumfummelte.
"Hä? Das kann nicht sein ... Hä? Ist das wahr?"
Ich schaute mir ihre Uhr an. Könnte das Ding dieser so genannte ZEZ sein?
"Nein, das ist nur eine automatische Digitaluhr."
Du meinst diese Uhren, die sich automatisch auf die Standardzeit stellen? Asahina-san lächelte mich glücklich an und sagte:
"Wir sind zurückgekehrt! Es stimmt mit unserem Abreisezeitpunkt überein, 7. Juli ... ungefähr neun Uhr dreißig nachts. Was bin ich erleichtert ... Puh!"
Ihr erleichtertes Seufzen kam aus tiefstem Herzen.
Vor der Tür stand die Nagato, die wir kannten. Wenn ich mich zwischen der Nagato mit Brille und der ohne entscheiden sollte, dann war es diese, die etwas offener geworden ist. Es ist mir endlich klar geworden, nachdem ich ihr Ich aus der Vergangenheit getroffen hatte. Die Nagato vor mir hatte sich, seit ich von Haruhi in den Literaturclub geschleppt wurde und sie dort traf, ein wenig verändert. Die Veränderungen waren so klein, dass sie vermutlich selber nichts von ihnen wusste.
"Aber wie hast du das gemacht?"
Nagato erklärte es Asahina-san ohne Anzeichen von Gefühl.
"Verflüssigte, verbundene Daten wurden selektiv zusammen mit der Raumzeit eingefroren, bis zum entsprechenden Zeitpunkt im Raum-Zeit-Kontinuum konserviert und dann wieder aufgetaut."
Sie nannte einige sehr abstrakte Begriffe, machte eine Pause und fügte dann hinzu:
"Und das ist heute."
Asahina-san versuchte aufzustehen, aber ihre Knie gaben nach und so kniete sie sich wieder hin.
"Könnte es sein ... unmöglich ... Nagato, du ...“
Nagato schwieg.
"Was ist denn?", fragte ich.
"Nagato-san ... hat die Zeit an sich angehalten. Sie hat vermutlich die Zeit zusammen mit uns für drei Jahre eingefroren und heute dann wieder aufgetaut ... stimmt’s?"
"Ja", antwortete Nagato und nickte dabei.
"Das ist unglaublich, einfach so die Zeit anzuhalten ... wah ..."
Sie kniete sich erschöpft hin und seufzte.
Ich dachte nach, also waren wir anscheinend sicher in die Zukunft zurückgekehrt. Das konnte man schon an Asahina-sans Reaktion erkennen, sie ist die Art Mensch, der man die Gefühle vom Gesicht ablesen kann. Aber mal unabhängig davon, werde ich den Grund für unsere Rückkehr und dass die Zeit eingefroren wurde sowieso glauben. Im Moment glaube ich so gut wie alles, egal was es ist, ich kann es ohne Probleme akzeptieren. Alles ist also soweit in Ordnung ... aber ...
Das war nicht das erste Mal, dass ich Nagatos Wohnung besucht hatte. Sie hatte uns vor mehr als einem Monat schon mal eingeladen, aber damals sah ich nur das Wohnzimmer und war nicht in das Gästezimmer gegangen. Ich wusste nicht mal, dass eines existierte. So … äh, das heißt also … wie ist das möglich?
Ich schaute Nagato an und Nagato schaute mich an.
... Das heißt also, als ich Nagato damals besucht hatte und diese Geschichte mit der Daten-Explosion hörte, schlief mein anderes Ich nebenan im Zimmer.
Wie kann das sein? Der Logik nach muss es so gewesen sein.
"Ja", sagte Nagato. Mir war plötzlich schwindelig.
"... He, bedeutet das, dass du damals schon wusstest was alles passieren wird? Und du wusstest schon vorher, dass wir uns treffen werden?"
"Ja."
Von mir ausgegangen, hatte ich Nagato das erste Mal getroffen, als gerade das Schuljahr anfing und Haruhi auf die Idee kam die SOS-Brigade zu gründen. Aber Nagato hatte mich schon am Tanabata vor drei Jahren getroffen. Für mich war das alles noch nicht lange her, aber für sie lag es schon drei Jahre in der Vergangenheit. Ich glaube ich werde gleich verrückt.
Asahina-san und ich waren sprachlos, so sehr erstaunte uns diese überraschende Wendung. Ich wusste ja schon, dass Nagato etwas auf dem Kasten hat, aber ich hätte nie gedacht, dass sie die Zeit einfrieren kann. Soll ich sie ab jetzt Wonder Woman nennen?
"Das ist nicht gänzlich korrekt."
Sie lehnte mein Lob ohne Umschweife ab.
"Das war eine Ausnahme. Ein Notfall. Diese Methode wird nur benutzt, wenn es um etwas sehr Wichtiges geht."
Also waren wir "etwas sehr Wichtiges".
"Danke, Nagato."
Ich entschloss mich, mich erstmal bei ihr zu bedanken, das war das Beste was ich machen konnte.
"Nicht der Rede wert."
Nagato nickte und gab mir den Tanzaku mit den geometrischen Symbolen drauf. Ich nahm ihn und sah, dass er schon ziemlich abgenutzt war, was nach drei Jahren auch keine Überraschung ist.
"Ach ja, was bedeuten eigentlich diese Symbole auf dem Tanzaku?"
Fragte ich beiläufig. Ich ging nicht davon aus, dass jemand Haruhis absurde Symbole verstehen könnte und nahm einfach an, dass es sich um einen Scherz handeln würde.
"Ich bin hier."
Antwortete Nagato. Ich war verdutzt.
"Das steht auf dem Tanzaku."
Das verwirrte mich immer mehr.
"Heißt das, diese nazca-ähnlichen Zeichnungen oder Symbole sind eine Art außerirdische Sprache?"
Nagato beantwortete diese Frage nicht.
Asahina-san verließ zusammen mit mir Nagatos Wohnung und als wir gerade unter dem vom Mond erhellten Himmel gingen, fragte ich:
"Asahina-san, gibt es eigentlich einen Grund dafür, dass du mich mit in die Vergangenheit genommen hast?"
Asahina-san strengte sich an nachzudenken, hob dann ihren Kopf und sagte mit einer sehr leisen Stimme:
"Tut mir leid. Ich ... nun ... äh ... Ich bin mir nicht sicher ... Ich bin ... das Verbindungsstück am Ende ... nein, das ganz unten ... nein, ich bin nur eine Auszubildende ...“
"Und trotzdem bist du an Haruhis Seite."
"Aber ich hätte nie gedacht, dass Suzumiya-san mich dazu drängen würde in den Club einzutreten."
Sagte Asahina-san schmollend. Du siehst auch mit diesem Gesicht niedlich aus, Asahina-san.
"Ich hab mich einfach nur an die Anweisungen meiner Vorgesetzten gehalten. Deshalb weiß ich selber nicht, warum ich das alles machen musste."
Als ich mir die errötete Asahina-san so anschaute, fragte ich mich, ob ihr Vorgesetzter nicht die erwachsene Asahina-san sein könnte. Das war eine Spekulation ohne Basis, aber da die einzigen Zeitreisenden die ich kenne die beiden Asahina-sans sind, kann mir das niemand vorhalten.
"Ach so."
Murmelte ich, während ich dabei meinen Kopf zur Seite neigte.
Aber ich verstand es immer noch nicht. Da die erwachsene Asahina-san mir den Tipp gegeben hat, musste sie wissen, was mit uns passieren wird. Aber es sieht so aus, als ob sie der jungen Asahina-san niemals etwas davon erzählt hatte. Was war da los?
"Hm …"
Es bringt nichts sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenn Asahina-san es nicht versteht, dann kann ich es erst recht nicht verstehen. Nagato hatte gesagt, dass es mehr als eine Möglichkeit gibt durch die Zeit zu reisen. Die Zeitreisenden haben also ihre eigenen Regeln, nehme ich an. Ich hoffe jemand wir sie mir erklären, wenn alles vorbei ist.
Asahina-san und ich gingen ab der Haltestelle getrennte Wege. Sie dankte mir noch einmal und machte sich dann auf den Weg, auch wenn das sehr schade war. Nachdem sie außer Sicht war, ging ich auch nach Hause und erst jetzt bemerkte ich, dass ich meine Tasche im Clubraum vergessen hatte.
Der nächste Tag, der 8. Juli, war für mein Bewusstsein zwar tatsächlich der nächste Tag, aber für meinen Körper fühlte es sich so an, als wäre ich vor drei Jahren und einem Tag das letzte Mal zur Schule gegangen. Ich ging mit leeren Händen zur Schule, holte meine Tasche aus dem Clubraum und begab mich dann in Richtung Klassenzimmer. Anscheinend war Asahina-san schon vorher gekommen, ich konnte ihre Tasche nirgendwo finden.
Als ich im Klassenzimmer ankam, sah ich schon Haruhi dort sitzen und aus dem Fenster starren, als würde sie die Ankunft von Außerirdischen sehnlichst erwarten.
"Was ist los mit dir? Du wirkst seit gestern ziemlich melancholisch. Hast du irgendeinen giftigen Pilz gegessen?"
Sagte ich und setzte mich hin. Haruhi seufzte theatralisch, als wollte sie, dass ich es höre und sagte dann:
"Ach, es ist nichts. Ich hab nur etwas in meinen Erinnerungen gegraben. Erinnerungen vom Tanabata."
Ich erschauderte augenblicklich. Was für Erinnerungen sie meinte ... fragte ich lieber nicht.
"Verstehe."
Haruhi drehte ihren Kopf wieder und beobachtete, wie sich die Wolken veränderten. Ich zuckte mit den Achseln. Ich hatte keine Lust den Zünder dieser Bombe zu zünden. Vernünftige Menschen würden so was nicht tun.
Nach der Schule verwandelte sich der Literaturclub einmal mehr in das Untergrundhauptquatier der SOS-Brigade.
Haruhi sagte nur: "Wirf den Bambussprössling weg, er ist jetzt nutzlos" und ging danach sofort. Das Armband der "Kommandantin" wirkte ziemlich einsam, nachdem es auf dem Tisch zurückgelassen wurde. Seufz, morgen wird sie wieder das exzentrische Mädchen sein, das unmögliche, unsinnige Dinge von uns verlangen würde. Sie ist diese Art Mensch.
Asahina-san war auch nicht da. Im Raum befand sich neben Koizumi, der mit mir Schach spielte, nur noch Nagato Yuki. Ich konnte Koizumis fast schon religiöser Passion für Schach nicht widerstehen und ließ mir von ihm erklären, wie man das Spiel spielt.
Ich dachte erst, dass Koizumi zu Schach gewechselt hatte, weil er bei Othello so schlecht war, aber anscheinend hatte ich mich geirrt. Er war bei Schach genauso schlecht.
Als ich gerade einen von Koizumis Bauern mit meinem Springer schlug, bemerkte ich, dass Nagato aufmerksam das Schachbrett beobachtete.
"Sag mal, Nagato, ich verstehe es irgendwie nicht. Stammt Asahina-san wirklich aus der Zukunft?"
Nagato neigte langsam ihren Kopf zur Seite.
"Ja."
"Aber irgendwie gibt es da ein Paradoxon."
Könnte man jedenfalls denken. Gäbe es zwischen der Vergangenheit und der Zukunft keine Kontinuität, dann müsste, nachdem wir drei Jahre in die Vergangenheit gereist sind, dort schliefen und in der Gegenwart wieder aufgeweckt wurden, die „Gegenwart“ anders sein als das „Gestern“. Aber stattdessen hatte ich Haruhi auf eine Idee gebracht, die sie niemals haben dürfte und diese Idee hatte Haruhi zur North High geführt und ihr Interesse an nicht-menschlichem Leben sogar noch vergrößert … diese Möglichkeit besteht.
Wäre ich nicht in die Vergangenheit gereist, wäre alles vielleicht gar nicht passiert. Die erwachsene Asahina-san wirkte so, als würde sie mehr wissen als wir, was bedeutet, dass es zwischen Vergangenheit und Zukunft eine Kontinuität geben muss. Das widerspricht aber dem, was mir Asahina-san vorher erzählt hatte. So viel kann ich gerade noch verstehen, egal wie dumm ich bin.
"Da sich keine Schlussfolgerungen über die Paradoxa treffen lassen, kann nicht bewiesen werden, dass es kein Paradoxon gibt."
Sagte Nagato ruhig und schaute dabei so als wolle sie sagen: "Das sollte alles erklären." Diese Erklärung mag für dich ausreichen, aber ich verstehe absolut gar nichts. Nagato hob ihren Kopf und schaute mich an.
"Du wirst es bald verstehen."
Dann ging sie zu ihrem Stuhl zurück und widmete sich wieder ihrer Welt der Bücher. Koizumi sagte daraufhin:
"So ist es. Im Moment steht mein König wegen deines Turms im Schach. Das ist für mich wirklich ein Problem, wohin soll ich flüchten?"
Koizumi nahm den schwarzen König und steckte ihn beiläufig in seine Jackentasche. Dann zeigte er mir wie ein Zauberer, der gerade einen Zaubertrick aufführte, seine Hand.
"Ist es ein Paradoxon wenn ich das hier mache?"
Während ich mit dem weißen Turm herumspielte, dachte ich, dass ich keine Lust habe irgendwelche dummen Zen-Philosophie-Spiele mit ihm zu spielen und ich werde mich auch nicht mit solchen abstrakten Erklärungen zufrieden geben. Deswegen weigerte ich mich ihm zu antworten.
Auf jeden Fall gibt es keinen Zweifel daran, dass Haruhi eine paradoxe Existenz ist, das gilt auch für diese Welt.
"Außerdem ist der König für uns ja nicht so interessant, die Dame spielt eine viel wichtigere Rolle."
Ich stellte den weißen Turm auf das Feld auf dem der schwarze König gestanden hatte.
" ... Ich weiß nicht was als nächstes passieren wird, aber ich hoffe es wird nichts sein, das mir Kopfschmerzen bereitet."
Nagato schwieg weiter und Koizumi sagte lächelnd:
"Ich denke es ist besser wenn alles friedlich bleibt oder möchtest du, dass etwas passiert?"
Ich schnaubte und zeichnete auf der Punktetabelle unter meinem Namen einen Kreis.
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