Sword Art Online: Progressive/Volume 1/Arie einer sternenlosen Nacht/Kapitel 4

From Baka-Tsuki
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ALS IHRE ERSTE MALZEIT IN DREI ODER VIELLEICHT VIER TAGEN,

wählte Asuna eine Scheibe des billigsten Schwarzbrotes, dass die NPCs im Dorf verkauften, sowie das kostenlose Wasser, dass es an einem der vielen Springbrunnen an diesem Ort gab.

Sie hatte im echten Leben nie besonders gerne gegessen, aber die totale Leere des Essens in dieser Welt war schwer zu beschreiben. Egal wie prachtvoll das Mahl auch aussehen mochte, kein einziges Korn Salz oder Zucker erreichte ihren echten Körper. Es schien ihr, als hätte man das ganze Konzept von Hunger und Sattheit einfach abschaffen sollen, aber der virtuelle Körper verlangte drei Mal am Tag nach Essen, und der stechende Hunger verschwand nicht, bis virtuelle Nahrungsmittel gegessen wurden.

Sie hatte gelernt, das Hungergefühl durch schiere Willenskraft zu unterdrücken, während sie im Dungeon war, aber zurück in der Stadt, ließ sich das Bedürfnis nicht mehr verbergen. Als Protestakt, wählte sie immer die billigste Option, und es machte sie gewissermaßen wütend, dass selbst das grobe, in Scheiben geschnittene Schwarzbrot eigentlich ziemlich gut schmeckte.

Asuna saß auf einer einfachen Holzbank am Brunnenplatz, im Zentrum von Tolbana, und nagte mit heruntergezogener Kapuze vor sich hin. Dafür, dass das Brot nur einen einzigen Col gekostet hatte, war es ziemlich groß. Gerade, als sie die Hälfte aufgegessen hatte–

„Echt gut, nicht wahr?“, kam eine Stimme von ihrer Rechten. Ihre Finger, die gerade ein weiteres Stück Brot abreißen wollten, hielten inne und sie warf einen scharfen Blick in diese Richtung.

Es war der Mann, den sie gerade vor ein paar Minuten am Dorfeingang zurückgelassen hatte, der schwarzhaarige Schwertkämpfer im grauen Mantel. Der Fremde, der sich einmischte, ihren bewusstlosen Körper aus dem Dungeon beförderte, und damit ihre Reise fortsetzte, als sie eigentlich hätte enden sollen.

Ihre Wangen wurden plötzlich heiß, bei diesem Gedanken. Nach all ihren kühnen Aussagen über das Sterben, war sie nicht nur am Leben, sondern er sah ihr auch noch dabei zu, wie sie an einer Mahlzeit kaute. Ihr gesamtes Dasein war von Schande befleckt und sie erstarrte, unsicher wie sie antworten sollte.

Der Mann räusperte sich schließlich höflich und fragte: „Darf ich mich neben dich setzten?“

Normalerweise würde sie einfach aufstehen und ohne einen zweiten Blick abmarschieren. In dieser ungewohnten Situation aber, wusste sie nicht mehr weiter. Er deutete Asunas Schweigen als stille Erlaubnis, setzte sich auf die äußerste rechte Ecke der Bank, um Asuna so viel Platz wie möglich zu lassen, und kramte in seiner Tasche. Als seine Hand wieder auftauchte, hielt sie ein rundes, schwarzen Objekt – ein Exemplar des Ein-Col Schwarzbrotes.

Für einen Moment vergas Asuna ihre Scham und Verlegenheit und schaute einfach nur erstaunt zu ihm auf.

Wenn er gut genug war, um so tief in das Labyrinth vorzudringen und eine so ausgezeichnete Ausrüstung zu haben, musste dieser Schwertkämpfer genug Geld haben, um sich ein volles Gänge-Menü in einem schönen Restaurant zu leisten. War er einfach ein Schnäppchenjäger? Oder…

„Findest du echt, dass das gut schmeckt?“, fragte sie, bevor sie sich aufhalten konnte. Er setzte einen Ausdruck verletzter Würde auf, und nickte energisch.

„Natürlich. Ich habe jeden Tag eins gegessen, seit ich in diesem Dorf bin. Allerdings füge ich einen kleinen Kniff hinzu.“

„Kniff…?“

Verwirrt neigte sie den Kopf unter der Kapuze. Anstatt laut zu erklären, griff der Schwertkämpfer in seine andere Tasche und holte ein kleines Porzellanglas hervor. Er stellte es auf der Bank zwischen ihnen ab und sagte: „Wende das auf dein Brot an.“

Für einen Moment war sie sich nicht sicher, was er mit „auf das Brot anwenden“ meinte, dann wurde ihr klar, dass es eine normale Videospielphrase war. Wende den Schlüssel auf die Tür an, wende die Flasche auf den Brunnen an, und so weiter. Sie streckte zögernd die Hand aus und berührte mit einer Fingerspitze den Deckel das Glases. Sie wählte „Benutzen“ in dem Pop-Up Menü, das erschien und ihr Finger fing an violett zu leuchten, das Signal für „Target-Selection-Modus“. Durch Berührung des Brotes in ihrer linken Hand würden die Objekte interagieren.

Mit einem kurzen Klingeln war das Brot plötzlich weiß, überzogen – nein, bedeckt – mit einer dicken Substanz, die aussah wie–

„…Sahne? Woher hast du die?“

„Das war die Belohnung für die Quest Das Rind schlägt zurück im letzten Dorf. Die dauert echt lange, also glaube ich nicht, dass sich viele Spieler die Mühe gemacht haben sie abzuschließen“, sagte er ernst, während er das Glas mit geübten Handgriffen auf sein Brot anwendete. Es musste die letzte Ladung des Gefäßes gewesen sein, denn das Glas blinkte auf und verschwand. Er machte seinen Mund weit auf und nahm einen großen Bissen von dem mit Sahne beschmierten Brot. Er kaute so energisch, dass sie praktisch die Soundeffekte hören konnte, und Asuna realisierte, dass zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, das Gefühl in ihrem Magen kein unangenehmes Schmerzen war, sondern das gesunde Zeichen von ehrlichem Hunger.

Sie nahm einen zögerlichen Bissen aus dem sahnigen Brot in ihrer Hand. Auf einmal verwandelte sich das grobe, trockene Brot, dass sie bis jetzt gegessen hatte, in einen deftigen, ländlichen Kuchen. Die Sahne war süß und mild, mit einer erfrischenden, joghurtartigen Säure. Asuna nahm noch mehr genüssliche Bisse, ihre Wangen voll mit einem betäubenden Gefühl der Zufriedenheit.

Das nächste, was sie wusste, war, dass kein einziger Krümmel des Items in ihren Händen übrig war. Erschrocken schaute sie rüber, um zu sehen, dass sie ihres zwei Sekunden eher, als der Schwertkämpfer aufgegessen hatte. Wieder einmal überkam sie der Scham und sie wollte aufstehen und weglaufen, konnte sich aber nicht dazu bringen, so unhöflich zu dem Mann zu sein, der ihr gerade eine so köstliche Mahlzeit spendiert hatte.

Schwer atmend, im Versuch ihren Gedanken zu ordnen, schaffte Asuna es endlich eine höfliche Antwort zu krächzen.

„………Danke für das Essen.“

„Gern geschehen.“

Fertig mit seiner Mahlzeit klatsche der Schwertkämpfer in die fingerlos-behandschuhten Hände und fuhr fort. „Falls du die Rind-Quest machen möchtest, von der ich erzählt habe, es gibt da einen Trick. Wenn man effizient ist, kann man sie in nur zwei Stunden schaffen.“

„…“

Sie musste gestehen, dass die Verlockung groß war. Mit dieser Joghurt-Sahne wurde ihr billiges Schwarzbrot zu einem echten Festmahl. Es war zwar nur ein künstlicher Genuss, vom Geschmack-Modellierungs-System des Spiels erschaffen, aber sie wollte ihn wieder – jeden Tag, wenn möglich.

Aber…

Asuna blickte nach unten und schüttelte leise ihren Kopf. „Ich verzichte. Ich bin nicht hierhergekommen, um gut zu essen.“

„Ich verstehe. Warum dann?“

Die Stimme des Schwertkämpfers war zwar nicht besonders melodisch, aber sie hatte einen jungenhaften Ton in ihr, der ihren Ohren keinesfalls missfiel. Wahrscheinlich war es dieses Merkmal, dass sie dazu brachte, frei auszusprechen, was ihr auf dem Herzen lag, etwas, das sie mit keinem anderen in dieser Welt getan hatte.

„Damit ich…ich selbst sein kann. Ich wäre lieber bis zum letzten Moment ich selbst, als mich einfach nur in der Stadt der Anfänge zu verkriechen und vor mich hinzurotten. Selbst, wenn das bedeutet, durch die Hand eines Monsters zu sterben…ich will nicht, dass dieses Spiel mich besiegt. Ich werde das nicht zulassen.“

Die fünfzehn Jahre von Asuna Yuukis Leben waren eine lange Reihe von Kämpfen gewesen. Es begann mit den Aufnahmeprüfungen für die Grundschule und ging weiter mit einer endlosen Abfolge von großen und kleinen Prüfungen. Sie hatte sie alle bewältigt. Eine einzige Niederlage hätte bedeutet, dass ihr Leben nichts mehr wert war. Diesen Druck hatte sie von Anfang an erfolgreich geschultert.

Aber nach fünfzehn Jahren des Gewinnens würde diese Prüfung, Sword Art Online, wahrscheinlich ihr Ende bedeuten. Es war zu rätselhaft für sie. Eine Kultur, die von fremden und ungewohnten Regeln durchzogen war, und es war nicht die Art von Kampf, die man allein gewinnen konnte.

Die einzige Möglichkeit zu gewinnen, war die Spitze der riesigen schwebenden Burg zu erreichen, ganze hundert Ebenen über ihnen, und den letzten Gegner zu besiegen. Aber einen Monat nach dem Start des Spiels war bereits ein Fünftel der Spieler verschwunden, und die meisten von ihnen waren vertraut gewesen, mit den Wegen dieser Welt. Die übrig gebliebenen Kräfte waren zu schwach, für den Weg, der vor ihnen lag, für diesen langen, so unvorstellbar langen Weg...

Als hätte man den Wasserhahn mit ihren innersten Gefühlen ein klein wenig aufgedreht, sickerten die Worte Tropfen für Tropfen aus ihrem Mund. Das Geständnis kam in Bruchstücken, Stücken von Logik, die sich nicht zu ganzen Sätzen summierten, aber der schwarzhaarige Schwertkämpfer saß und hörte schweigend zu. Als Asunas Stimme am Ende in der Abendbrise verklungen war, sprach er schließlich.

„…Es tut mir leid.“

Ein paar Sekunden später fragte sich Asuna skeptisch, warum er so etwas sagen sollte.

Sie hatte ihn doch erst heute kennengelernt. Er hatte keinen Grund, sich bei ihr zu entschuldigen. Sie spähte zu ihrer Rechten und sah, dass er auf der Bank zusammengekauert saß, die Ellbogen auf den Knien. Seine Lippen bewegten sich, und weitere undeutliche Worte erreichten ihre Ohren.

„Es tut mir leid…Die jetzige Situation – der Grund, warum du dich so eingeengt fühlen musst– ist wegen…“

Aber den Rest konnte sie nicht verstehen. Die besonders große Windmühle im Dorfzentrum begann ihre windbetriebene Glockenuhr zu läuten.

Es war vier Uhr, der Zeitpunkt des Treffens. Sie schaute auf und sah, dass sich eine große Anzahl von Spielern auf dem Brunnenplatz versammelt hatte.

„Lass und gehen. Immerhin hast du mich doch zu diesem Treffen eingeladen“, sagte Asuna und stand auf. Er nickte und stand langsam auf. Was wollte er sagen? Letztendlich war es egal, denn sie würde nie wieder mit ihm sprechen, aber der Gedanke bohrte sich wie ein kleiner Dorn in ihr Gehirn. Ich will es wissen. Ich will es nicht wissen. Selbst Asuna wusste nicht, welches Verlangen stärker war.