Sword Art Online: Progressive/Volume 1/Arie einer sternenlosen Nacht

From Baka-Tsuki
Revision as of 23:54, 19 December 2021 by XSchons (talk | contribs)
Jump to navigation Jump to search

Illustrationen

Arie einer sternenlosen Nacht

Kapitel 1

NUR EINMAL HABE ICH EINE ECHTE STERNSCHNUPPE GESEHEN.

Es war nicht während eines Campingausflugs unter freiem Himmel, sondern von meinem Schlafzimmerfenster aus. Das kommt jenen, die an Orten mit klarem Himmel leben, oder wo es nachts wirklich dunkel wird, vielleicht nicht besonders vor, aber mein vier-zehnjähriges Zuhause, Kawagoe in der Präfektur Saitama, war nichts der beiden. Selbst in einer wolkenlosen Nacht konnte man nur die hellsten aller Sterne mit dem bloßen Augen sehen.

Aber eines Mittwinternachts passierte es, dass mein Blick auf das Fenster streifte und ich einen Moment lang ebenjenes brillantes Naturschauspiel erblickte, das vertikal durch den sternenlosen, vom Licht der Stadt erhellten Sternenhimmel blitzte. Zu der Zeit war ich in der vierten oder fünften Klasse, und unschuldig jung wie ich war, beschloss ich mir etwas zu wünschen…nur um es für die unnötigste Sache zu verschwenden, die man sich vorstellen kann: „Ich wünschte, das nächste Monster würde ein seltenes Item droppen.“ Damals grindete ich gerade für ein Level-Up in meinem Lieblings-MMORPG.

Ich sah eine weitere Sternschnuppe derselben Farbe und Schnelligkeit drei (oder vielleicht vier) Jahre später.

Aber diesmal nicht mit bloßem Auge, und sie blitze auch nicht durch den grauen Nachthimmel. Es geschah in den düsteren Tiefen eines Dungeons, erschaffen vom NerveGear – dem weltweit ersten voll sensorischen, immersiven VR-Interface.

Trenner.PNG

Die Art und Weise, wie der Fechter kämpfte, konnte man nur als „besessen“ beschreiben.

Er flitzte so knapp an dem Beil des Level-6 Goblin Troopers vorbei, dass es mir kalt den Rücken runter lief. Nach drei erfolgreichen Ausweichmanövern verlor der Kobold endgültig die Balance, und der Fechter lies einen vollaufgeladenen Sword-Skill auf das hilflose Biest los.

Er benutze Linear, einen simplen Hieb, welcher der erste An-griff war, den man in der Kategorie Rapier lernte. Es war ein sehr gewöhnlicher Angriff, ein gradliniger Stoß aus zentraler Position, seine Schnelligkeit jedoch war erstaunlich. Es war eindeutig nicht nur das spielinterne Motion-Assistance-System, das hier arbeitete, sondern vielmehr sein eigenes athletisches Können.

Ich hatte während des Betatests unzählige Male gesehen, wie Party-Mitglieder und gegnerische Monster denselben Skill einsetzten, aber alles, was ich dieses Mal erkennen konnte, war der visuelle Effekt der Schwertbahn, und nicht die Klinge selbst. Das plötzliche Aufblitzen puren Lichts inmitten des düsteren Dungeons erinnerte mich an jene Sternschnuppe.

Nach drei Wiederholungen des Musters, Kombo des Kobolds ausweichen und mit Linear antworten, hatte der Fechter die bewaffnete Kreatur – eine der Stärksten in diesem Dungeon – besiegt, ohne auch nur einen Kratzer abzubekommen. Aber es war kein müheloser, einfacher Kampf. Als der letzte Hieb durch die Brust des Kobolds stach und ihn in leere Polygonscherben zerbersten ließ, stolperte er zurück und prallte gegen die Wand, als hätte das Zerbersten der Kreatur ihn weggedrängt. Der Mann rutschte die Wand hinunter, bis er schwer atmend auf dem Boden saß.

Er hatte mich nicht wahrgenommen, wie ich etwa fünfzehn Meter entfernt an einer Tunnelkreuzung stand.

Normalerweise wäre ich an dieser Stelle leise weggehuscht, und hätte mir meine eigene Beute zum Jagen gesucht. Seit ich vor einem Monat den Entschluss gefasst hatte, als eigennütziger Solospieler vorzugehen, habe ich mich nie besonders angestrengt auf andere Personen zuzugehen. Die einzige Ausnahme wäre, wenn jemand kämpfen und in Lebensgefahr schweben würde; der Fechter war aber kein einziges Mal unter Full-Health gefallen. Zumindest sah er nicht so aus, als hätte er es nötig, dass jemand sich einmischte und Hilfe anbot.

Und dennoch…

Ich zögerte fünf Sekunden lang, dann entschied ich mich, in die Richtung des sitzenden Spielers zu schlendern.

Er war dünn und kleinlich, trug eine leichte bronzene Brust-platte über einer tiefroten Tunika, eng anliegende Lederhosen und kniehohe Stiefel. Sein Gesicht lag versteckt unter einem Kapuzenumhang, der vom Kopf bis zur Taille ging. Abgesehen von dem Umhang war alles eine übliche leichte Rüstung eines flinken Fechters, ähnlich zu meiner Schwertkämpfer-Kleidung. Mein geliebtes Anneal Blade, die Belohnung einer hochrangigen Quest, war so schwer, dass ich auf sperriges Equipment verzichten musste, damit meine Bewegungen schnell blieben – ich trug nichts Schwereres als einen dunkelgrauen Ledermantel und ein kleines Bruststück.

Der Fechter zuckte zusammen, als er meine Schritte hörte, bewegte sich aber nicht weg. Er sollte meinen grünen Cursor gesehen haben, um sich zu vergewissern, dass ich kein Monster bin. Sein Kopf blieb zwischen den hochgezogenen Beinen hängen, ein klares Signal, dass er wollte, dass ich weiterging, aber ein paar Schritte entfernt hielt ich inne.

„Ein bisschen Overkill, wenn du mich fragst.“

Unter dem Umhang zuckten die zierlichen Schultern abermals. Die Kapuze rutschte ein oder zwei Zentimeter zurück, und ich sah zwei scharfe, funkelnde Augen auf mich gerichtet. Alles, was ich sehen konnte, war deren hellbraune Iris; die Konturen des Gesichts immer noch im Schatten.

Nach mehreren Sekunden eines durchdringenden, den Rapier-Hieben ebenbürtigen Blickes, neigte er den Kopf leicht nach links, anscheinend, um zu sagen, dass er mich nicht verstand.

Innerlich seufzte ich resigniert auf. Aber irgendetwas im Hinterkopf hielt mich davon ab, einfach meinen einsamen Weg weiter-zugehen.

Der Linear des Fechters war erschreckend perfekt. Nicht nur die Vor- und Nachbewegungen waren extrem kurz, auch der Angriff selbst war schneller, als man sehen konnte. Nie zuvor hatte ich einen so angsteinflößenden und wunderschönen Sword-Skill erlebt.

Zuerst nahm ich an, dass er ein weiterer ehemaliger Betatester war. Diese Schnelligkeit musste von Erfahrung aus der Zeit stammen, bevor diese Welt in seine jetzige tödliche Form gestürzt wurde.

Als ich den Linear aber ein zweites Mal sah, begann ich an dieser Annahme zu zweifeln. Im Gegensatz zu der Perfektion seiner Attacken, war der Kampfrhythmus des Fechters geradezu lebens-müde. Ja, die defensive Strategie, den gegnerischen Schlägen mit geringster Bewegung auszuweichen, führte zu schnelleren Gegen-angriffen als zu blocken oder zu parieren, und nutzte zudem das Equipment weniger stark ab. Aber die Konsequenzen eines Fehlers wiegten viel schwerer auf als alle positiven Aspekte. Im schlimmsten Fall könnte ein Treffer des Gegners als ein erfolgreicher Konter gewertet werden, was einen kurzen Stun auslöste. Für einen Einzelkämpfer war gestunt zu werden wie ein Todesurteil.

Es passte einfach nicht zusammen – brillante Schwertkunst, kombiniert mit schier leichtsinniger Strategie. Ich wollte wissen warum, deswegen ging ich auf ihn zu und fragte, ob es nicht Overkill sei.

Jedoch verstand er nicht einmal diese in Spielen sehr geläufige Bezeichnung. Der Fechter, der hier auf dem Boden saß, konnte kein Betatester sein. Er mochte vielleicht nicht einmal ein MMO-Spieler gewesen sein, bevor er in dieses Game kam.

Ich holte kurz Luft und begann mit einer Erklärung.

„Overkill ist eine Bezeichnung, die man benutzt, wenn man viel zu viel Schaden austeilt für die Menge an Leben, die das Monster noch hat. Nach deinem zweiten Linear war dieser Kobold fast tot. Er hatte nur noch zwei, drei Pixel des HP-Balkens übrig. Du hättest ihn einfach mit einer leichten Attacke niederstrecken können, anstatt einen ganzen Sword-Skill zu benutzen.“

Wie lange war es her gewesen, dass ich so viele Wörter am Stück gesagt hatte? Tage? Wochen? Dafür, dass in der Schule Japanisch nicht mein bestes Fach war, waren meine Ausführungen elegant wie ein Essay. Der Fechter aber, zeigte ganze zehn Sekunden lang keine Reaktion. Endlich murmelte eine sanfte Stimme aus den Tiefen des Umhangs.

„Gibt es ein Problem damit, zu viel Schaden zu machen?“

Endlich, letztendlich, hatte ich realisiert, dass der hockende Fechter eine der seltensten Begegnungen in dieser Welt, nicht zu reden von den Tiefen eines Dungeons war – kein männlicher Spieler, sondern eine Frau.

Trenner.PNG

Das weltweit erste VRMMORPG, Sword Art Online, hatte seine virtuellen Pforten fast einen Monat zuvor geöffnet.

In einem klassischen MMO würden die Spieler mittlerweile das Höchstlevel erreichen und die Weltkarte wäre ausführlich von vorne bis hinten erkundet. Hier in SAO jedoch, waren selbst die besten Spieler gerade mal um Level 10 – und keiner wusste, was die Ober-grenze war. Kaum mehr als ein paar Prozent des Spielsettings, der schwebenden Burg Aincrad, wurden bisher kartographiert.

SAO war nicht mehr wirklich ein Spiel. Es war eher wie ein Gefängnis. Ausloggen war unmöglich, und der Tod des Avatars des Spielers war gleichbedeutend mit dem Tod des Körpers des Spielers, Punkt. Unter solchen Umständen wagten es nur wenige, sich den Gefahren der Monster und Fallen eines Dungeons auszusetzen.

Obendrein hatte der Gamemaster die Avatare der Spieler in ihr Geschlecht aus dem echten Leben gezwungen, was bedeutete, dass es einen massiven Mangel an weiblichen Spielern gab. Ich vermutete, dass die meisten von ihnen immer noch im sicheren Bereich der Stadt der Anfänge verblieben. In diesem massiven Dungeon – dem Labyrinth der 1. Ebene – hatte ich bisher nur zwei oder drei Male eine Frau gesehen, und diese waren immer in großen Abenteuer-Parties unterwegs.

Deshalb ist es mir nie in den Sinn gekommen, dass der einsame Fechter am Rande des unerforschten Territoriums des Labyrinths wirklich eine Frau sein könnte.

Trenner.PNG

Ich überlegte kurz, eine Entschuldigung zu murmeln und davonzueilen. Ich war nicht auf einem Kreuzzug gegen all die Männer, die es immer darauf anlegten, jede weibliche Spielerin, die sie sahen, ohne zu zögern anzusprechen, aber ich wollte definitiv nicht als einer von ihnen identifiziert werden.

Hätte sie mit „Kümmer‘ dich um deinen eigenen Kram!“ oder „Ich kann tun, was ich will“ geantwortet, hätte ich keine andere Wahl gehabt, als zuzustimmen und mich zu verziehen. Aber die Antwort der Fechterin schien eine ehrliche Frage zu sein, also hielt ich inne und versuchte, mir eine gute Erklärung einfallen zu lassen.

„Naja…eine Strafe fürs Overkilling gibt es nicht im Spiel – es ist einfach ineffizient. Sword-Skills brauchen eine Menge Konzentration, je mehr man sie also benutzt, desto erschöpfter wird man. Ich meine, du musst es ja immer noch nach Hause schaffen, oder? Du solltest versuchen, mehr Energie zu sparen.“

„…Nach Hause schaffen?“, fragte die Stimme aus der Kapuze erneut. Sie war rau, monoton, und allem Anschein nach erschöpft, aber irgendwie fand ich sie schön. Das sagte ich natürlich nicht laut. Stattdessen versuchte ich weiter auszuführen.

„Ja. Es wird eine gute Stunde dauern, um von hier aus dem Labyrinth herauszukommen. Und die nächste Siedlung ist auch noch mal dreißig Minuten entfernt, richtig? Man macht mehr Fehler, wenn man müde ist. Du siehst mir wie ein Solospieler aus; Fehler können ganz schnell tödlich enden.“

Während ich sprach, fragte ich mich, warum ich sie überhaupt so ernsthaft belehrte. Nicht weil sie ein Mädchen war, dachte ich. Ich hatte sie angesprochen, bevor ich ihr Geschlecht wusste.

Wenn die Rollen vertauscht wären und mir jemand hochmütig einen Vortrag darüber halten würde, was ich tun sollte, würde ich ihm sicherlich sagen, dass er zur Hölle fahren soll. Als ich merkte, wie widersprüchlich meine Handlungen zu meiner Persönlichkeit waren, reagierte die Fechterin endlich.

„Wenn das so ist, gibt es kein Problem. Ich werde nicht nach Hause gehen.“

„Hm? Du gehst nicht…zurück zur Stadt? Aber was ist mit schlafen, Tränke nachfüllen, Ausrüstung reparieren…?“, fragte ich ungläubig. Sie zuckte kurz mit den Schultern.

„Tränke brauch ich nicht, wenn ich kein Schaden nehme, und ich habe fünf von demselben Schwert gekauft. Wenn ich Schlaf brauche, bekomme ich den einfach bei der Sicheren Zone in der Nähe“, sagte sie mit heiserer Stimme. Ich hatte keine Antwort.

Die Sichere Zone war ein kleiner Raum innerhalb des Dungeons, in dem keine Monster spawnten. Er war leicht durch die farbigen Fackeln in jeder der Ecken des Raums zu erkennen. Diese Zonen waren nützlich als Lager beim Jagen oder Kartographieren im Dungeon, aber sie waren nicht für mehr als ein kurzes Nickerchen gedacht. Die Räume hatten keine Betten, nur harte Steinböden, und die weiten Eingänge taten nichts, um die unablässigen Geräusche der monströsen Schritte und des Röchelns abzuhalten. Auch die härtesten aller Abenteurer konnten unter solchen Umständen keinen ehrlichen Schlaf finden.

Aber wenn ich ihre Aussage für bare Münze nahm, dann benutzte sie diese enge Steinkammer als Ersatz für einen richtigen Raum in einem Wirtshaus, um permanent innerhalb des Dungeons zu lagern. Könnte das wirklich richtig sein?

„Ähm…wie viele Stunden bist du schon hier drin?“, fragte ich, ängstlich die Antwort zu erfahren.

Sie atmete langsam aus. „Drei Tage…vielleicht vier. Bist du fertig? Das nächste Monster wird bald spawnen, ich muss los.“

Sie lehnte mit einer fragilen, behandschuhten Hand gegen die Wand des Dungeons und kletterte wackelig auf die Beine. Das Rapier so schwer wie ein Zweihänder in der Hand hängend, drehte sie mir den Rücken zu.

Als sie losging, sah ich zerlumpte Risse in ihrem Umhang, was auf seinen dürftigen Zustand hinwies. Eigentlich war es ein Wunder, dass der zarte Stoff nach vier Tagen in einem Dungeon überhaupt noch intakt war. Vielleicht war ihre Aussage darüber, keinen Schaden zu nehmen, nicht einfach nur leere Prahlerei…

Nicht einmal ich selbst rechnete mit den Worten, die als nächstes meinen Mund in Richtung ihres kleiner werdenden Rückens verließen.

„Wenn du weiter so kämpfst, stirbst du.“

Sie blieb stehen und stützte sich mit der rechte Schulter an der Wand ab, bevor sie sich umdrehte. Die Augen, die ich unter dem Um-hang für haselnussbraun gehalten hatte, schienen nun in einem hellen, durchdringenden Rot aufzublitzen.

„…Wir werden sowieso alle sterben.“

Ihre heisere, krachende Stimme schien die Temperatur der Dungeonluft herunterzufahren.

„Zweitausend Menschen sind in einem einzigen Monat gestorben. Und wir haben nicht einmal die 1. Ebene geschafft. Es ist unmöglich dieses Spiel durchzuspielen. Der einzige Unterschied ist, wann und wo wir sterben, früher…oder später…“

Die längste und emotionalste Äußerung, die sie bisher getätigt hatte, verlies ihre Lippen und hing in der Luft.

Ich ging instinktiv einen Schritt nach vorne und sah, wie sie leise zu Boden sackte, als sei sie von einer unsichtbaren Lähmung getroffen.

Kapitel 2

BEVOR SIE AUF DEM BODEN AUFKAM,

war der einzige Gedanke, der ihr durch den Kopf ging, die banale Frage: „Was passiert wohl, wenn man in einer virtuellen Welt bewusstlos wird?“

Der Verlust des Bewusstseins ist ein kurzzeitiges Ausschalten des Gehirns, ausgelöst durch ein plötzliches Nachlassen der Blutzirkulation. Blut kann aufgrund einer Vielzahl an Ursachen aufhören zu Zirkulieren – Herz- oder Ader-Versagen, Anämie, niedriger Blutdruck, Hyperventilation – in einem VR Full Dive aber, war der physische Körper völlig stationär, in einem Bett oder Sessel. Außerdem wurde wahrscheinlich jeder, der in diesem Todesspiel feststeckte, in eine Medizinische Einrichtung in der Nähe transferiert, wo man regelmäßigen Kontrollen und der Verabreichung notwendiger Medikamente und Flüssigkeiten ausgesetzt war. Es war schwer sich vorzustellen, dass jemand aus rein physischen Ursachen in Ohnmacht fiel.

Diese Gedanken gingen durch ihr schwindendes Bewusstsein und akkumulierten sich schließlich zu einer einfachen Aussage: Es ist mir einfach nur noch egal.

Nichts war von Bedeutung. Sie würde hier sterben. Wenn sie inmitten eines von Monstern patrouillierten Labyrinths in Ohnmacht fiel, war es unmöglich, dass sie es sicher heraus schaffen würde. Es war ein anderer Spieler in der Nähe, aber der würde niemals sein eigenes Leben riskieren, nur um einen Fremden zu retten.

Außerdem, wie sollte er sie retten? Das Gewicht, dass ein Spieler in dieser virtuellen Welt tragen konnte, war streng von einem Spielsystem kontrolliert. Tief in einem gefährlichen Dungeon wie diesem, würde jeder Spieler schwer mit Tränken und Notvorräten beladen sein, ganz zu schweigen von dem Loot, den man auf dem Weg angesammelt hätte. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass jemand zusätzlich zu alledem noch einen menschlichen Körper herumtragen könnte.

Dann realisierte sie etwas.

Für fliehende Gedanken kurz vor der Ohnmacht, hielten sie gewiss ganz schön lange an. Plus, unter ihr war nur harter Stein gewesen, warum spürte sie also etwas so Weiches gegen ihren Rücken drücken? Sie fühlte sich warm, irgendwie. Es kitzelte ihr sogar eine leichte Brise über die Wange.

Im nächsten Moment schnellten ihre Augen auf.

Sie war nicht in einem feuchten Dungeon, umgeben von kalten Steinwänden. Es war eine Lichtung inmitten eines Waldes, umgeben von uralten, mit goldenem Moos bewachsenen Bäumen und dornigen Büschen, die kleine Blümchen trugen. Sie war bewusstlos gewesen – nein, sie hatte geschlafen – auf einem Bett aus Gras, so weich wie ein Teppich, in der Mitte der runden Lichtung, etwa 7 Meter von einer Seite zur anderen.

Aber…wie? Sie hatte tief in diesem Dungeon ihr Bewusstsein verloren, also wie konnte sie den ganzen Weg zu diesem Außenbereich gekommen sein?

Die Antwort war neunzig Grad rechts von ihr.

Dort kauerte ein grauer Schatten, unter einem besonders großen Baum, am Rande der offenen Fläche. Er wog ein großes Schwert in beiden Händen und ruhte mit dem Kopf auf der Scheide. Sein Gesicht lag versteckt hinter einem längeren, schwarzen Pony, aber dem Equipment und Profil nach zu urteilen, musste es der Spieler sein, der Momente, bevor sie das Bewusstsein verlor, mit ihr gesprochen hatte.

Er musste irgendeinen Weg gefunden haben, sie aus dem Dungeon, und in diesen Wald zu tragen. Sie suchte entlang der Baumwipfel, bis sie ein paar hundert Meter entfernt auf ihrer Linken, endlich einen gewaltigen Turm, der sich bis zum Gewölbe hochschraubte, ausfindig machte – das Labyrinth der 1. Ebene von Aincrad.

Sie wandte sich wieder zu ihrer Rechten. Vielleicht ihre Bewegungen wahrnehmend, zuckten die Schultern unter dem grauen Ledermantel, und sein Kopf hob sich leicht. Selbst unter der Mittagssonne waren seine Augen schwarz, wie eine sternlose Nacht.

In dem Augenblick, in dem sie in diese tiefschwarzen Augen sah, ging ein kleines Feuerwerk hoch, tief in ihrem Hinterkopf.

„Du hättest dich nicht…kümmern sollen“, knurrte Asuna Yuuki mit knirschenden Zähnen.

Trenner.PNG

Von dem Moment an, in dem sie in dieser Welt gefangen wurde, hatte Asuna sich hunderte – wenn nicht tausende – Male dieselben Fragen gestellt.

Warum hatte sie sich dazu entschieden mit dieser brandneuen Spielekonsole zu spielen, auch wenn sie nicht mal ihre eigene war? Warum hatte sie den Helm auf ihren Kopf gesetzt, sich in den hohen Bürostuhl sinken lassen und das Kommando zum Hochfahren aufgesagt?

Asuna hatte das NerveGear nicht gekauft, dieses VR-Interface-der-Träume-verwandelt-in-verfluchtes-Instrument-des-Todes, oder die Game-Card für Sword Art Online, dieses enorme Gefängnis der Seelen – es war ihr viel älterer Bruder Kouichirou. Doch auch er war nie der größte Videospiel-Typ gewesen, viel weniger noch ein MMORPG-Liebhaber. Als Sohn des stellvertretenden Generaldirektors von RCT, einer der größten Elektronikhersteller des Landes, unterging er jeder Art von Bildung, die notwendig war, um ihrer Vaters Nachfolger zu werden, und alles, was nicht unter diese Pflichten fiel, wurde aus seinem Leben verbannt. Warum er Interesse für das NerveGear entwickelte – warum er sich für SAO entschied – war immer noch ein Rätsel für sie.

Ironischerweise jedoch, bekam Kouichirou nie die Chance das erste Videospiel, das er ja gekauft hatte, zu spielen. An jenem Tag, an dem SAO launchte, war er gerade Übersee, auf einer Geschäftsreise. Am Mittagstisch des Tages zuvor, versuchte er die Frustration wegzulachen, aber sie konnte spüren, wie enttäuscht er war.

Asunas Leben war nicht ganz so streng verlaufen, wie Kouichirous, aber auch sie hatte wenig Erfahrung mit Spielen außerhalb von kostenlosen Downloads auf ihrem Handy, selbst mit ihrem jungen Alter, in der neunten Klasse. Ihr war die Existenz von Onlinespielen bewusst, aber die Aufnahmeprüfungen zur High-School kamen immer näher, und sie hatte keine Gründe oder Motive eines anzufangen – sollte man annehmen.

Also hatte sie selbst keine Erklärung warum, an diesem Nachmittag des 6. Novembers 2022, sie in das leere Zimmer ihres Bruders geschlüpft war, das schon vorbereitete NerveGear auf ihren Kopf gesetzt hatte, und das „Link Start“-Kommando sprach.

Das Einzige, was sie mit Gewissheit sagen konnte war, dass sich alles änderte, an jenem Tag. Alles endete.

Asuna schloss sich in einem Raum eines Gasthauses in der Stadt der Anfänge ein, wollte warten, bis die Angelegenheit vorüber war. Als aber ganze zwei Wochen lang keine einzige Nachricht der Außenwelt ihren Weg zu ihnen gemacht hatte, verlor sie jede Hoffnung auf Rettung von außen. Und mit bereits über tausend toten Spielern und dem ersten Dungeon des Spiel immer noch unbeendet, verstand sie, dass man das Spiel von innen ebenso unmöglich besiegen konnte.

Die einzige Wahl, die noch blieb, war wie man starb.

Sie hatte die Option für Monate, eventuell Jahre, innerhalb des Schutzes der Stadt zu bleiben. Aber niemand konnte garantieren, dass die Regel – Monster können nicht in Städte eindringen – für immer aufrecht erhalten würde.

Asuna zog es vor die Stadt zu verlassen, anstatt sich wie ein Wollknäuel irgendwo in der Dunkelheit zusammenzurollen, in Angst vor der Zukunft lebend. Sie würde alle ihre Instinkte benutzen, um zu kämpfen, zu lernen und zu wachsen. Sollte ihr letztendlich die Puste ausgehen und sie umkommen, wenigsten hätte sie nicht die verbleibenden Tage um ihre verlorene Zukunft trauernd verbracht.

Renne – Stoße vor – und verblasse. Wie ein Meteor, der in der Atmosphäre verbrennt.

Das war Asunas Einstellung, als sie das Gasthaus verließ und in Richtung Wildnis schritt, ohne eine Ahnung von auch nur einem einzigen MMORPG-Begriff. Sie wählte eine Waffe, lernte einen einzigen Skill, und fand sich in dem Labyrinth wieder, dass niemand anderes erfolgreich erobert hatte.

Letzten Endes, um vier Uhr morgens am Freitag, den 2. Dezember, hatte die Akkumulation vieler, vieler Kämpfe zur Folge, dass es ihr aus Erschöpfung schwarz vor den Augen wurde, und ihre Quest hätte enden sollen. Der Name Asuna, der in den Stein des Monuments des Lebens, unterhalb des Schwarzeisenpalastes, gemeißelt war, wäre durchgestrichen worden, und alles hätte sein Ende gefunden.

Es hätte. Es sollte.

Trenner.PNG

„Du hättest nicht…“, wiederholte Asuna. Der am Boden kauernde, schwarzhaarige Schwertkämpfer richtete seine Augen, dunkel wie die Nacht, auf den Boden. Er schien etwas älter zu sein als sie, aber die überraschende Naivität in seiner Gestik verblüffte sie.

Wenige Sekunden später kehrte ihre erste Vermutung zurück, als ein zynisches Lächeln über seine Lippen lief. „Ich habe nicht dich gerettet“, sagte er leise. Es war die Stimme eines Jungen, aber etwas in ihr verschleierte sein wirkliches Alter.

„…Warum hast du mich dann nicht dort zurückgelassen?“

„Ich wollte nur deine Mapdaten retten. Wenn du vier Tage an der Front verbracht hast, musst du ein gutes Stück unerkundetes Land kartographiert haben. Es wäre zu schade, wenn das alles verschwinden würde.“

Sie schnappte nach Luft, bei der Logik und Effizienz in seiner Erklärung. Sie hatte dieselbe Antwort, die jeder andere, den sie getroffen hatte, ihr gab, erwartet; irgendein Geschwätz über die Bedeutung des Lebens oder, dass alle zusammenhalten müssten. Sie war vorbereitet all diesen Unsinn zu zerschneiden – verbal natürlich – aber die Zweckmäßigkeit seiner Antwort machte sie sprachlos.

„…Na gut. Nimm sie“, brummelte sie, und öffnete ihr Fenster. Sie hatte sich endlich an das Menüsystem gewöhnt, in dem sie jetzt zu dem Tab mit ihrer Map-Info wechselte und diese in eine Pergamentrolle kopierte. Ein weiterer Button materialisierte die Rolle als ein Ingame Objekt, das sie nun vor die Füße des Mannes warf. „Jetzt hast du, was du wolltest. Bis dann.“

Sie stützte sich mit einer Hand im Gras ab, und stand mit zitternden Beinen auf. Die Uhr in ihrem Fenster zeigte, dass sie fast volle 7 Stunden geschlafen hatte, aber die Erschöpfung war noch nicht vollkommen verschwunden. Allerdings, hatte sie noch drei Rapiere. Bevor sie losgegangen war, hatte sie sich gesagt, dass sie in dem Turm bleiben würde, bis die Haltbarkeit des Letzten unter der Hälfte sei.

In ihrem Kopf schwirrten immer noch ein paar Quellen des Misstrauens. Wie hatte der Schwertkämpfer in dem grauen Mantel es geschafft sie aus dem Turm und zu dieser Lichtung im Wald zu bringen? Und warum hatte er sie den ganzen Weg hier heraus gebracht und nicht nur in die nächste Sichere Zone innerhalb des Turms?

Sie waren es jedoch nicht wert umzukehren und ihn zu fragen. Also drehte sich Asuna zu ihrer Linken, in die Richtung des schwarzen, in die Höhe ragenden Labyrinths, und fing an loszumarschieren.

„Warte mal, Fechterin.“

„…“

Sie ignorierte ihn und ging weiter. Was er jedoch als nächstes sagte, ließ sie innehalten.

„Du tust das alles, aus dem Ziel das Spiel zu schlagen, oder? Nicht, um einfach in einem Dungeon zu sterben. Warum kommst du also nicht zu dem Treffen?“

„…Treffen?“, wunderte sie sich. Die Worte des Schwertkämpfers erreichten ihre Ohren in der sanften Brise des Waldes.

„Heute Nacht wird es ein Treffen in der Siedlung Tolbana in der Nähe des Turms geben. Es wird geplant, wie man den Boss des Labyrinths der 1. Ebene besiegen kann.“

Kapitel 3

AINCRADS FORM ÄHNELTE DER EINES KEGELS,

was bedeutete, dass die unterste Ebene die weiteste war. Die kreisförmige Ebene war ungefähr zehn Kilometer im Durchmesser mit einer Fläche von achtzig Quadratkilometern. Zum Vergleich: Die Stadt Kawagoe in der Präfektur Saitama, Zuhause von über dreihunderttausend Menschen, war an die hundert Quadratkilometer groß.

Aufgrund ihrer Größe konnte man tatsächlich eine beträchtliche Vielfalt an Gelände finden. An der südlichen Spitze der Landmasse war die Stadt der Anfänge, die mehr als einen Kilometer im Durchmesser, und von einer halbkreisförmigen Mauer umkreist war. Außerhalb der Stadt befand sich eine fruchtbare, grüne Grashügellandschaft, voll mit Ebern und Wölfen, sowie Insektenmonstern, wie Würmern, Käfern oder Wespen.

Gegenüber des Feldes im Nordwesten war ein tiefer Wald, während der Nordosten ein sumpfiges Tiefland, gesprenkelt mit Seen, aufbot. Jenseits dieser Regionen lagen Berge, Täler und Ruinen, alle mit ihrer entsprechenden Auswahl an Monstern. Am nördlichen Ende der Ebene war ein stämmiger Turm, fast dreihundert Meter breit und einhundert Meter hoch – das Labyrinth der 1. Ebene.

Neben der Stadt der Anfänge war die Ebene mit einigen anderen Siedlungen unterschiedlicher Größe gepunktet, die größte von ihnen – wenngleich unter 200 Meter von einem Ende zum anderen – war Tolbana, in einem Tal nahe des Labyrinths liegend.

Der erste Besuch eines Spielers in dieser friedvollen, von großen Windmühlen gesäumten Siedlung, war drei Wochen nach dem offiziellen Launch von Sword Art Online.

Zu dem Zeitpunkt, waren über achtzehnhundert Spieler dahingeschieden.

Trenner.PNG

Die mysteriöse Fechterin und ich verließen den Wald – nicht zusammen, sondern verlegen Abstand haltend – und traten durch das nördliche Tor von Tolbana.

Eine violette Nachricht in meinem Sichtfeld, die SAVE HAVEN las, zeigte an, dass wir uns innerhalb der Dorfgrenzen befanden. Sofort spürte ich, wie sich die Erschöpfung des langen Tages auf meine Schultern legte. Ein Seufzer entfloh meinen Lippen.

Wenn ich mich, nachdem ich erst diesen Morgen das Dorf verlassen hatte, schon so schlimm fühlte, musste die Fechterin hinter mir sich noch viel schlimmer fühlen. Ich drehte mich nach hinten, um nach ihr zu sehen, doch ihre kniehohen Stiefel wankten kein bisschen. Ein paar Stunden Schlaf konnten nicht die Ermüdung von drei Tagen des pausenlosen Kämpfens getilgt haben, also setzte sie wohl nach außen hin ein tapferes Gesicht auf. Eigentlich sollte die Rückkehr in das Dorf Anlass sein, Körper und Geist (und in diesem virtuellen Setting waren die beiden ein und dasselbe) zu entspannen, aber sie schien nicht in der Stimmung für Ratschläge zu sein.

Stattdessen ließ ich es kurz und knackig. „Das Treffen ist am Dorfplatz, vier Uhr Nachmittag.“

„…“

Das Gesicht unter der Kapuze nickte leicht, aber ging geradewegs an mir vorbei.

Eine leichte Brise ging durch das Taldorf, und ließ ihren Umhang flattern, als sie vorüberging. Ich öffnete kurz den Mund, aber fand nichts zu sagen. Ich hatte den letzten Monat rigoros damit verbracht, als Solospieler jeglichem Kontakt mit Menschen zu vermeiden; ich hatte kein Recht zu erwarten, dass irgendjemand mich mit offenen Armen empfangen würde. Die einzige Sorge, die ich hatte, war mein eigenes Leben zu retten.

„Seltsames Mädel, ne?“, raunte eine Stimme hinter mir. Ich wandte meinen Blick von der Fechterin ab und drehte mich um. „Scheint an der Schwelle des Todes zu stehen, aber stirbt nicht. Offensichtlich ein Newbie, aber ihre Bewegungen sind scharf wie Stahl. Wer kann sie nur sein?“

Die Stimme, ein hohes Plätschern, das am Ende jedes Satzes in ein eigenartiges Nasal überging, gehörte zu einer gerissenen kleinen Spielerin, einen ganzen Kopf kleiner als ich. Wie ich trug sie nur Stoff- und Lederrüstung. Die Waffen an ihrer Hüfte waren eine kleine Klaue und einige Wurfnadeln. Es wirkte nicht wie die Art von Zeug, die sie hier heraus, in diese gefährliche Zone bringen würde; die größte Waffe dieser Person aber, hatte keine Klinge.

„Du kennst diese Fechterin?“, fragte ich sie automatisch, verzog aber sofort das Gesicht, ihre Antwort vorausahnend. Ganz wie erwartet hielt die kleine Frau eine Hand hoch, alle fünf Finger ausgestreckt.

„Ich mach es billig. Fünfhundert Col?“

Das lächelnde Gesicht hatte ein ganz hervorstechendes Merkmal. Sie hatte ein kosmetisches Item benutzt, um drei Linien in der Form von Schnurhaaren auf beide Wangen zu malen. Kombiniert mit ihren kurzen, mausbraunen Locken, war der Gesamteffekt unverkennbar Nagetier-artig.

Ich hatte sie schon einmal gefragt, warum sie diese Erscheinung wählte, aber ihre einzige Antwort war: „Man fragt ein Mädchen nicht nach dem Grund, warum sie sich schminkt, ne? Ich sag’s dir für hunderttausend Col“. Darum war die Antwort noch immer ein Mysterium.

Im Stillen schwor ich mir, dass ich eines Tages ein seltenes Item zu Geld machen würde, um die exorbitant hohe Summe zu zahlen und sie zu einer Antwort zu zwingen.

„Ich fühl mich nicht wohl dabei, in den privaten Angelegenheiten eines Mädchens herumzuwühlen“, murmelte ich ernst.

„Ni-hii! Gute Einstellung“, sagte sie aufziehend. Argo die Ratte, der erste Informationshändler Aincrads, gluckste vor Lachen.

Trenner.PNG

Pass auf. Fünf Minuten Schwatzen mit der Ratte und sie hat dir 500 Col aus der Tasche gezogen, warnte mich einmal jemand. Aber nach eigener Aussage hatte Argo noch nie eine Information verkauft, deren Verifizierung unklar war. Sie bezahlte eine Quelle immer für Informationen, die es ihrer Ansicht nach Wert waren, und wandelte diese erst in ein kaufbares Produkt um, wenn sie sichergestellt hatte, dass die Geschichte hieb und stichfest war. Mir war klar, dass ein einzelnes Stück unglaubhafte Information, dass für Geld verkauft wurde, ihren Ruf ruinieren könnte. Auch wenn es nicht dasselbe, wie Loot in einem Dungeon zu farmen und ihn an NPCs zu verkaufen war, hatte auch ihr Geschäft seine Tücken.

Obwohl ich wusste, dass meine Skepsis sexistisch war, konnte ich nicht anders, als mich zu fragen, warum eine weibliche Spielerin sich auf eine derart gemeingefährliche Arbeit einlassen würde. Aber ich wusste, wenn ich sie danach fragte, würde sie mir nur ein weiteres Preisschild von einhunderttausend Col aushängen, daher räusperte ich mich und fragte eine andere Frage.

„Und? Ist es heute wieder eine dieser Stellvertreterverhandlungen, statt deinem Hauptgeschäft?“

Jetzt war es an Argo, finster dreinzublicken. Sie schaute sich nervös um, und tippte mir dann auf den Rücken, um mich in eine nahegelegene Gasse zu führen. Da das Boss-Treffen noch ganze zwei Stunden entfernt war, tummelten sich nur wenige Spieler in dem Dorf, aber es schien wichtig zu sein, dass sie nicht belauscht wurde – wahrscheinlich hatte es mit ihrem Ruf als Hüterin der Geheimnisse zu tun.

Argo kam in dem schmalen Gässchen zum Stehen, lehnte den Rücken gegen eine Hauswand (natürlich von einem NPC bewohnt) und nickte.

„Yep, du hattest recht. Sie würden bis neunundzwanzigtausend-achthundert Col hochgehen.“

„Neunundzwanzig, hm?“, ich verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid…meine Antwort bleibt gleich, egal wie hoch die Zahl ist. Ich werde nicht verkaufen.“

„Hab ich dem Klienten auch gesagt, aber was soll man machen?“

Argos Hauptgeschäft war das Verkaufen von Informationen, aber sie benutze ihre exzellenten Agility Stats, um nebenbei als Bote zu arbeiten. Normalerweise gab sie einfach nur kurze verbale oder geschriebene Nachrichten weiter, aber über die letzte Woche hinweg spielte sie den Verhandlungsführer zwischen mir und Jemandem, der sehr hartnäckig, wenn nicht sogar aufdringlich war.

Er (oder sie) wollte mein Anneal Blade + 6 (3S3H) kaufen.

Trenner.PNG

Das Waffenverstärkungssystem in SAO war für ein modernes MMORPG relativ simpel. Es gab fünf Parameter: Schärfe, Flinkheit, Genauigkeit, Last und Haltbarkeit. Gegen Bezahlung konnte ein NPC- oder Spieler-Schmied für dich versuchen, einen bestimmten Stat anzuheben. Dieser Prozess erforderte spezifische Crafting-Materialien, abhängig von dem Stat, und es gab immer die Wahrscheinlichkeit, dass es fehlschlagen würde. Dies funktionierte ähnlich, wie in anderen Spielen.

Jedes Mal, wenn ein Parameter erfolgreich erhöht wurde, bekam der Waffenname ein +1, oder +2, und so weiter, die tatsächlich beeinflussten Stats waren allerdings erst sichtbar, wenn man direkt auf die Item-Eigenschaften ging. Da es mühsam wäre jedes Mal „Plus eins auf Genauigkeit und plus zwei auf Last“ beim Handeln mit anderen Spielern zu sagen, war es üblich, die Information stattdessen abzukürzen. So wurde also eine +4 Waffe mit 1 auf Genauigkeit, 2 auf Last, und 1 auf Haltbarkeit, als „1G2L1H“ bezeichnet.

Mein Anneal Blade +6 (3S3H) war bei Schärfe und Haltbarkeit um jeweils drei Punkte erhöht. Es brauchte einiges an Durchhaltevermögen und Glück, um es auf der 1. Ebene schon so viel zu verbessern. Nur wenige Spieler machten sich die Mühe, an dem Schmieden-Skill zu arbeiten – der keinen Einfluss auf Ihre Überlebenschancen hatte – und trotz des zwergenhaften Erscheinens der NPC-Schmiede war ihr tatsächliches Können eher Enttäuschend.

Selbst die Waffe an sich war die Belohnung für eine extrem schwierige Quest, so dass die aktuellen Werte des Schwertes ungefähr das Maximum sein mussten, das ein Spieler auf der 1. Ebene erwarten konnte. Trotzdem war es immer noch Anfängerequipment. Ich könnte es noch ein paar Mal hochziehen, aber auf der zweiten oder dritten Ebene würde ich wohl ein besseres Schwert finden und der Prozess würde wieder von vorne beginnen.

Aus diesem Grund hatte ich Schwierigkeiten die Motive von Argos Klienten zu begreifen, für ein solches Schwert die gewaltige Summe von 29.800 Col zu bezahlen. Bei einer Verhandlung von Angesicht zu Angesicht, könnte ich den Käufer einfach fragen, aber ohne einen Namen, den man verfolgen konnte, gab es keine Möglichkeit, mehr über ihn zu erfahren.

„Und wieviel zahlen sie dir, um zu schweigen? Tausend?“, fragte ich. Argo nickte.

„Jo, will ich doch meinen. Lust den Einsatz zu erhöhen?“

„Hmm…ein k, was? Hmmmm.“

Dieses „Schweigegeld“ war eine Summe, die Mysteriöser Bieter X Argo zahlte, damit sie seine Identität geheim hielt. Böte ich 1.100 Col, würde Argo das per Instant-Message rüberreichen, bis sie mit 1.200 Col ankämen. Dann wäre ich gefragt 1.300 aufzubringen, und so weiter. Nachdem ich dieses Bietergefecht gewonnen hätte, würde ich herausfinden, wer mein Schwert kaufen wollte, sowie eine bedeutende Summe Geld verlieren. Das wäre eindeutig ein idiotisches Ergebnis.

„Großartig…du bist also ein Informant, der sogar Geld macht, wenn er nicht verkauft? Ich bewundere die Hingabe zu deinem Geschäft“, murrte ich. Argos Schnurrhaare formten sich zu einem Grinsen und sie brach in ein fauchendes Gelächter aus.

„Das ist das Beste daran, ne? In dem Moment, in dem ich eine Info verkaufe, habe ich schon ein brandneues Produkt parat: Dieser-und-Jener hat gerade diese-und-jene Information gekauft. Doppelter Profit!“

Im echten Leben würde ein Geschäftsmann niemals die Namen seiner Klienten offenlegen, aber angesichts des Mottos der Ratte, „Jede Information hat einen Preis“, schien sie sich nicht an dieses Tabu zu halten. Jeder, der mit ihr einen Deal machen wollte, musste vorher wissen, dass seine eigenen Informationen verkauft werden könnten, aber wenn das Produkt so hervorragend war, wer konnte sich dann schon über den Preis beschweren?

„Wenn irgendwelche weiblichen Spielerinnen meine persönlichen Daten haben wollen, sag mir Bescheid, damit ich ihre zuerst kaufen kann“, sagte ich müde. Argo gackerte wieder, setzte dann aber eine ernste Miene auf.

„Okay, ich geb‘ dem Klienten Bescheid, dass du wieder abgelehnt hast. Ich werde sogar meine Meinung, dass ihre Mühen vergebens sind mit einwerfen. Mach’s gut, Kirilein.“

Die Ratte drehte sich um, winkte, und flitze dann so flink wie ihr Namensfetter aus der Gasse. Nach einem letzten, flüchtigen Blick auf ihr in der Menge verschwindendes Haar, bekam ich das sichere Gefühl, sie würde sich niemals umbringen lassen.

Ich hatte im Verlauf des ersten Monats von SAO, diesem Todesspiel, einiges gelernt.

Was entschied über die Wahrscheinlichkeit, dass ein Spieler lebte oder starb? Es gab eine unzählige Anzahl an Faktoren – den Vorrat an Tränken, das Wissen, wann man einen Dungeon verlassen muss, und so weiter – aber irgendwo im Zentrum dieser verworrenen Variablen war die Präsenz des Kerns einer Person, etwas, an das sie bedingungslos glauben konnte. Man könnte es Jemandes größte Waffe nennen, ein Werkzeug, das für das Überleben unabdingbar war.

Für Argo, war es Information. Sie wusste alles Wichtige: Wo die gefährlichsten Monster waren und die besten Orte zum Jagen. Dieses Wissen gab ihr Selbstvertrauen und einen kühlen Kopf, was ihre Überlebenschancen erhöhte.

Was war mein Kern? Es musste das Schwert auf meinem Rücken sein. Genauer gesagt, war es das Gefühl, das ich bekam, wenn meine Klinge und ich eins wurden. Ich hatte es bisher nur ein paar Mal geschafft in diesen mentalen Zustand zu kommen, aber es war das Verlangen, diese Kraft nach Belieben zu kontrollieren, der unangefochtene Herrscher dieses Reiches zu werden, das mich am Leben hielt. Der Grund, warum ich Punkte in Schärfe und Haltbarkeit statt in Flinkheit oder Genauigkeit investierte, war einfach: Erstere waren rein Numerische Werte, während Letztere das System an Sich beeinflussten. Sie veränderten das Gefühl das Schwert zu schwingen.

Aber dann…

Was war mit der Fechterin an der Front des Labyrinths. Was war ihr Kern? Ich hatte sie aus dem Dungeon transportiert (mit Mitteln, die ich ihr niemals sagen konnte), aber wäre sie wirklich gestorben, wenn ich nicht da gewesen wäre? Ich konnte mir leicht vorstellen, wie sie unbewusst wieder auf die Beine kommen würde, wenn der nächste Kobold angelaufen käme; und wie sie ihren Linear benutzen würde, um das Biest abzufertigen.

Was brachte sie dazu, eine solch grausame Abfolge von Kämpfen durchzumachen? Was hatte sie bis jetzt am Leben gehalten? Sie musste irgendeine Kraftquelle haben, die ich nur erahnen konnte.

„Vielleicht hätte ich Argo die 500 Col bezahlen sollen“, murmelte ich, schüttelte den Kopf und schaute nach oben.

Die weiß gestrichenen Windmühlen, Wahrzeichen Tolbanas, hatten schon einen kleinen Hauch von Orange angenommen. Es war kurz nach drei Uhr – Zeit einen kleinen Happen zu essen, bevor das zweifelsfrei lange und ermüdende Boss-Raid-Treffen begann.

Um Vier, wenn das Treffen begann, würden die Dinge hässlich werden.

Heute würde zum ersten Mal eine verborgene Kluft zwischen den SAO-Spielern auftreten: Der unüberbrückbare Abstand zwischen den neuen Spielern und den Betatestern…

Es gab nur eine Information, die Argo die Ratte sich weigerte, an andere zu verkaufen, und zwar, ob eine Person ein Betatester gewesen war oder nicht. Sie war mit dieser Philosophie nicht allein. Alle ehemaligen Betatester, die einander am Namen oder Stimme erkennen konnten, wenn nicht sogar am Gesicht, vermieden es mit Absicht miteinander in Berührung zu kommen. Die vorherige Begegnung mit Argo war nicht anders. Wir beide wussten, dass der andere ein Betatester war, aber wir gaben uns enorme Mühe nie darüber sprechen zu müssen.

Der Grund war einfach: Öffentlich als ein Betatester geoutet zu werden, konnte tödlich enden.

Nicht wegen irgendwelcher Monster in einem Dungeon, sondern weil man von einem Lynchmob aus neuen Spielern umgebracht werden konnte, wenn man allein auf der Map herumlief. Sie glaubten, dass die Betatester Schuld daran hatten, dass zweitausend Spieler innerhalb eines Monats den Tod fanden.

Und ich konnte diese Anschuldigungen nicht vollständig abstreiten.

Kapitel 4

ALS IHRE ERSTE MALZEIT IN DREI ODER VIELLEICHT VIER TAGEN,

wählte Asuna eine Scheibe des billigsten Schwarzbrotes, dass die NPCs im Dorf verkauften, sowie das kostenlose Wasser, dass es an einem der vielen Springbrunnen an diesem Ort gab.

Sie hatte im echten Leben nie besonders gerne gegessen, aber die totale Leere des Essens in dieser Welt war schwer zu beschreiben. Egal wie prachtvoll das Mahl auch aussehen mochte, kein einziges Korn Salz oder Zucker erreichte ihren echten Körper. Es schien ihr, als hätte man das ganze Konzept von Hunger und Sattheit einfach abschaffen sollen, aber der virtuelle Körper verlangte drei Mal am Tag nach Essen, und der stechende Hunger verschwand nicht, bis virtuelle Nahrungsmittel gegessen wurden.

Sie hatte gelernt, das Hungergefühl durch schiere Willenskraft zu unterdrücken, während sie im Dungeon war, aber zurück in der Stadt, ließ sich das Bedürfnis nicht mehr verbergen. Als Protestakt, wählte sie immer die billigste Option, und es machte sie gewissermaßen wütend, dass selbst das grobe, in Scheiben geschnittene Schwarzbrot eigentlich ziemlich gut schmeckte.

Asuna saß auf einer einfachen Holzbank am Brunnenplatz, im Zentrum von Tolbana, und nagte mit heruntergezogener Kapuze vor sich hin. Dafür, dass das Brot nur einen einzigen Col gekostet hatte, war es ziemlich groß. Gerade, als sie die Hälfte aufgegessen hatte–

„Echt gut, nicht wahr?“, kam eine Stimme von ihrer Rechten. Ihre Finger, die gerade ein weiteres Stück Brot abreißen wollten, hielten inne und sie warf einen scharfen Blick in diese Richtung.

Es war der Mann, den sie gerade vor ein paar Minuten am Dorfeingang zurückgelassen hatte, der schwarzhaarige Schwertkämpfer im grauen Mantel. Der Fremde, der sich einmischte, ihren bewusstlosen Körper aus dem Dungeon beförderte, und damit ihre Reise fortsetzte, als sie eigentlich hätte enden sollen.

Ihre Wangen wurden plötzlich heiß, bei diesem Gedanken. Nach all ihren kühnen Aussagen über das Sterben, war sie nicht nur am Leben, sondern er sah ihr auch noch dabei zu, wie sie an einer Mahlzeit kaute. Ihr gesamtes Dasein war von Schande befleckt und sie erstarrte, unsicher wie sie antworten sollte.

Der Mann räusperte sich schließlich höflich und fragte: „Darf ich mich neben dich setzten?“

Normalerweise würde sie einfach aufstehen und ohne einen zweiten Blick abmarschieren. In dieser ungewohnten Situation aber, wusste sie nicht mehr weiter. Er deutete Asunas Schweigen als stille Erlaubnis, setzte sich auf die äußerste rechte Ecke der Bank, um Asuna so viel Platz wie möglich zu lassen, und kramte in seiner Tasche. Als seine Hand wieder auftauchte, hielt sie ein rundes, schwarzen Objekt – ein Exemplar des Ein-Col Schwarzbrotes.

Für einen Moment vergas Asuna ihre Scham und Verlegenheit und schaute einfach nur erstaunt zu ihm auf.

Wenn er gut genug war, um so tief in das Labyrinth vorzudringen und eine so ausgezeichnete Ausrüstung zu haben, musste dieser Schwertkämpfer genug Geld haben, um sich ein volles Gänge-Menü in einem schönen Restaurant zu leisten. War er einfach ein Schnäppchenjäger? Oder…

„Findest du echt, dass das gut schmeckt?“, fragte sie, bevor sie sich aufhalten konnte. Er setzte einen Ausdruck verletzter Würde auf, und nickte energisch.

„Natürlich. Ich habe jeden Tag eins gegessen, seit ich in diesem Dorf bin. Allerdings füge ich einen kleinen Kniff hinzu.“

„Kniff…?“

Verwirrt neigte sie den Kopf unter der Kapuze. Anstatt laut zu erklären, griff der Schwertkämpfer in seine andere Tasche und holte ein kleines Porzellanglas hervor. Er stellte es auf der Bank zwischen ihnen ab und sagte: „Wende das auf dein Brot an.“

Für einen Moment war sie sich nicht sicher, was er mit „auf das Brot anwenden“ meinte, dann wurde ihr klar, dass es eine normale Videospielphrase war. Wende den Schlüssel auf die Tür an, wende die Flasche auf den Brunnen an, und so weiter. Sie streckte zögernd die Hand aus und berührte mit einer Fingerspitze den Deckel das Glases. Sie wählte „Benutzen“ in dem Pop-Up Menü, das erschien und ihr Finger fing an violett zu leuchten, das Signal für „Target-Selection-Modus“. Durch Berührung des Brotes in ihrer linken Hand würden die Objekte interagieren.

Mit einem kurzen Klingeln war das Brot plötzlich weiß, überzogen – nein, bedeckt – mit einer dicken Substanz, die aussah wie–

„…Sahne? Woher hast du die?“

„Das war die Belohnung für die Quest Das Rind schlägt zurück im letzten Dorf. Die dauert echt lange, also glaube ich nicht, dass sich viele Spieler die Mühe gemacht haben sie abzuschließen“, sagte er ernst, während er das Glas mit geübten Handgriffen auf sein Brot anwendete. Es musste die letzte Ladung des Gefäßes gewesen sein, denn das Glas blinkte auf und verschwand. Er machte seinen Mund weit auf und nahm einen großen Bissen von dem mit Sahne beschmierten Brot. Er kaute so energisch, dass sie praktisch die Soundeffekte hören konnte, und Asuna realisierte, dass zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, das Gefühl in ihrem Magen kein unangenehmes Schmerzen war, sondern das gesunde Zeichen von ehrlichem Hunger.

Sie nahm einen zögerlichen Bissen aus dem sahnigen Brot in ihrer Hand. Auf einmal verwandelte sich das grobe, trockene Brot, dass sie bis jetzt gegessen hatte, in einen deftigen, ländlichen Kuchen. Die Sahne war süß und mild, mit einer erfrischenden, joghurtartigen Säure. Asuna nahm noch mehr genüssliche Bisse, ihre Wangen voll mit einem betäubenden Gefühl der Zufriedenheit.

Das nächste, was sie wusste, war, dass kein einziger Krümmel des Items in ihren Händen übrig war. Erschrocken schaute sie rüber, um zu sehen, dass sie ihres zwei Sekunden eher, als der Schwertkämpfer aufgegessen hatte. Wieder einmal überkam sie der Scham und sie wollte aufstehen und weglaufen, konnte sich aber nicht dazu bringen, so unhöflich zu dem Mann zu sein, der ihr gerade eine so köstliche Mahlzeit spendiert hatte.

Schwer atmend, im Versuch ihren Gedanken zu ordnen, schaffte Asuna es endlich eine höfliche Antwort zu krächzen.

„………Danke für das Essen.“

„Gern geschehen.“

Fertig mit seiner Mahlzeit klatsche der Schwertkämpfer in die fingerlos-behandschuhten Hände und fuhr fort. „Falls du die Rind-Quest machen möchtest, von der ich erzählt habe, es gibt da einen Trick. Wenn man effizient ist, kann man sie in nur zwei Stunden schaffen.“

„…“

Sie musste gestehen, dass die Verlockung groß war. Mit dieser Joghurt-Sahne wurde ihr billiges Schwarzbrot zu einem echten Festmahl. Es war zwar nur ein künstlicher Genuss, vom Geschmack-Modellierungs-System des Spiels erschaffen, aber sie wollte ihn wieder – jeden Tag, wenn möglich.

Aber…

Asuna blickte nach unten und schüttelte leise ihren Kopf. „Ich verzichte. Ich bin nicht hierhergekommen, um gut zu essen.“

„Ich verstehe. Warum dann?“

Die Stimme des Schwertkämpfers war zwar nicht besonders melodisch, aber sie hatte einen jungenhaften Ton in ihr, der ihren Ohren keinesfalls missfiel. Wahrscheinlich war es dieses Merkmal, dass sie dazu brachte, frei auszusprechen, was ihr auf dem Herzen lag, etwas, das sie mit keinem anderen in dieser Welt getan hatte.

„Damit ich…ich selbst sein kann. Ich wäre lieber bis zum letzten Moment ich selbst, als mich einfach nur in der Stadt der Anfänge zu verkriechen und vor mich hinzurotten. Selbst, wenn das bedeutet, durch die Hand eines Monsters zu sterben…ich will nicht, dass dieses Spiel mich besiegt. Ich werde das nicht zulassen.“

Die fünfzehn Jahre von Asuna Yuukis Leben waren eine lange Reihe von Kämpfen gewesen. Es begann mit den Aufnahmeprüfungen für die Grundschule und ging weiter mit einer endlosen Abfolge von großen und kleinen Prüfungen. Sie hatte sie alle bewältigt. Eine einzige Niederlage hätte bedeutet, dass ihr Leben nichts mehr wert war. Diesen Druck hatte sie von Anfang an erfolgreich geschultert.

Aber nach fünfzehn Jahren des Gewinnens würde diese Prüfung, Sword Art Online, wahrscheinlich ihr Ende bedeuten. Es war zu rätselhaft für sie. Eine Kultur, die von fremden und ungewohnten Regeln durchzogen war, und es war nicht die Art von Kampf, die man allein gewinnen konnte.

Die einzige Möglichkeit zu gewinnen, war die Spitze der riesigen schwebenden Burg zu erreichen, ganze hundert Ebenen über ihnen, und den letzten Gegner zu besiegen. Aber einen Monat nach dem Start des Spiels war bereits ein Fünftel der Spieler verschwunden, und die meisten von ihnen waren vertraut gewesen, mit den Wegen dieser Welt. Die übrig gebliebenen Kräfte waren zu schwach, für den Weg, der vor ihnen lag, für diesen langen, so unvorstellbar langen Weg...

Als hätte man den Wasserhahn mit ihren innersten Gefühlen ein klein wenig aufgedreht, sickerten die Worte Tropfen für Tropfen aus ihrem Mund. Das Geständnis kam in Bruchstücken, Stücken von Logik, die sich nicht zu ganzen Sätzen summierten, aber der schwarzhaarige Schwertkämpfer saß und hörte schweigend zu. Als Asunas Stimme am Ende in der Abendbrise verklungen war, sprach er schließlich.

„…Es tut mir leid.“

Ein paar Sekunden später fragte sich Asuna skeptisch, warum er so etwas sagen sollte.

Sie hatte ihn doch erst heute kennengelernt. Er hatte keinen Grund, sich bei ihr zu entschuldigen. Sie spähte zu ihrer Rechten und sah, dass er auf der Bank zusammengekauert saß, die Ellbogen auf den Knien. Seine Lippen bewegten sich, und weitere undeutliche Worte erreichten ihre Ohren.

„Es tut mir leid…Die jetzige Situation – der Grund, warum du dich so eingeengt fühlen musst– ist wegen…“

Aber den Rest konnte sie nicht verstehen. Die besonders große Windmühle im Dorfzentrum begann ihre windbetriebene Glockenuhr zu läuten.

Es war vier Uhr, der Zeitpunkt des Treffens. Sie schaute auf und sah, dass sich eine große Anzahl von Spielern auf dem Brunnenplatz versammelt hatte.

„Lass und gehen. Immerhin hast du mich doch zu diesem Treffen eingeladen“, sagte Asuna und stand auf. Er nickte und stand langsam auf. Was wollte er sagen? Letztendlich war es egal, denn sie würde nie wieder mit ihm sprechen, aber der Gedanke bohrte sich wie ein kleiner Dorn in ihr Gehirn. Ich will es wissen. Ich will es nicht wissen. Selbst Asuna wusste nicht, welches Verlangen stärker war.